PolitikWirtschaft

Greensill-Pleite: Denkendorf darf hoffen

Denkendorf hofft, im Schulterschluss mit anderen Kommunen, Totalverlust von einer Million Euro zu vermeiden

Hoffnungsschimmer für die Greensill-Gläubiger – und die Gemeinde Denkendorf, die ebenfalls mit einer Millionensumme betroffen sein könnte: Nach dem Zusammenbruch des Kreditinstituts fordern die Gläubiger insgesamt rund vier Milliarden Euro zurück. Drei Milliarden davon seien allerdings bereits über den Einlagensicherungsfonds der privaten Banken beglichen worden, ließ es ein Sprecher des gerichtlich bestellten Insolvenzverwalters Michael Frege wissen, der nun auf der ersten Gläubigerversammlung am vergangenen Dienstag bestätigt wurde. Doch Denkendorf darf hoffen: Knapp 20 Kommunen haben sich zusammengeschlossen und fordern im Rahmen der Gespräche nach Medienangaben rund 145 Millionen Euro zurück. Die Chancen stünden offenbar nicht schlecht, zumindest einen Teil zurückzuerhalten, hat man auch in Denkendorf inzwischen erfahren.

Die Pleite der Greensill Bank AG hat innerhalb der Finanzdienstleistungsbranche ein Beben ausgelöst, dessen gesamtes Ausmaß noch nicht absehbar ist. Neben zahllosen Privatpersonen haben auch Kommunen dem Bremer Kreditinstitut Geld anvertraut – unter ihnen die Gemeinde Denkendorf, bei der eine Million Euro im Feuer steht. Ob die Kommune auch nur einen Teil dieser Summe zurückbekommt, war anfangs äußerst unsicher. Jetzt scheinen sich jedoch Hinweise zu verdichten, dass doch noch Geld vorhanden ist, das an die Gläubiger zurückfließen könnt, wie auch die Gemeinde gegenüber Ei-live bestätigt.

„Zinsfalle“ Greensill

Weshalb eine überschaubare bayerische Gemeinde überhaupt auf die Idee kommt, mit einer relativ unbekannten Bank im hohen Norden Geschäftsbeziehungen zu unterhalten, hat mit der Zinspolitik der EZB im Großen sowie der von Greensill im Kleinen zu tun. Denn während die Banken selbst mit Negativzinsen zurechtkommen müssen, bot Greensill Sparern 0,4 Prozent bei Termingeld. Das klingt auf den ersten Blick nicht nach einer Riesenrendite, in Zeiten der Minuszinsen ist es dennoch viel: Denn wer Geld anlegt, muss insbesondere auf Bankeinlagen in solchen Größenordnungen Minuszinsen zahlen – statt wie früher selbst Zinsen zu bekommen. Die Greensill Bank dagegen bot eine solche positive Verzinsung – allerdings hätte man da auch hellhörig werden können. Denn hier gilt Ähnliches wie nach der Finanzkrise: Die Banken, die damals die höchsten Zinsen zahlten, waren nicht selten auch die, die das dadurch zufließende Kapital auch dringend benötigten, um anderweitig Löcher zu stopfen. Das muss nicht schiefgehen – ist es aber nun aber bei der Greensill Bank.

Das Bremer Institut hatte jahrelang vor allem über Online-Portale wie Weltsparen und Zinspilot mit vergleichsweise attraktiven Zinsen viele Millionen Euro an Spareinlagen eingesammelt, mit denen Geschäfte der britisch-australischen Mutterfirma Greensill Capital abgesichert wurden. Doch die Mutter, die vor allem im Bereich der Lieferkettenfinanzierung tätig war und sehr stark mit dem Stahlunternehmen Gupta Family Group zusammenarbeitete, hat inzwischen ebenfalls Insolvenz angemeldet.

Die positiven statt negativer Zinsen lockten dennoch viele Privatleute, vor allem aber auch Kommunen. Denn die wissen nicht, wohin mit den Rücklagen aus Steuergeldern – wenn sie eben nicht durch Negativzinsen geschmälert werden wollen. Natürlich könnte man das Geld auch anders, auch risikofreudiger, zum Beispiel in Wertpapiere, anlegen und dabei Gewinne einfahren. Dieser Weg ist aber gerade Kommunen größtenteils versperrt. Die dürfen mit öffentlichen Geldern nämlich nicht „zocken“. „Gemäß Art. 74 Abs. 2 Satz 2 Bayerische Gemeindeordnung haben die Gemeinden bei Geldanlagen auf eine ausreichende Sicherheit zu achten. Die Geldanlagen sollen zudem einen angemessenen Ertrag abwerfen.

Nach Wegfall der Einlagensicherung für institutionelle Anleger seit dem 1. Oktober 2017 ist jede Anlage bei den Geschäftsbanken mit einem Verlustrisiko verbunden; „Die Bankenverbände betonen, dass es bislang noch keinen Fall eines Ausfalls von Kundeneinlagen bei einer deutschen Bank gab“, heißt es denn auch in der Stellungnahme der Gemeinde, der es wohl vor allem darum ging, Strafzinsen zu Lasten des öffentlichen Haushalts zu vermeiden. Auch auf die Frage, warum sie sich nicht an eine regionale Bank gewandt habe, geht die Kommune ein und beruft sich ebenso auf die geltenden Strafzinsen an.

Rund 50 Kommunen mit vielen Millionen betroffen

Zwar bestehe bei Sparkassen und den Genossenschaftsbanken eine größere Sicherheit, weil sie neben der gesetzlichen Einlagensicherung zusätzlich ein System der Institutssicherung installiert hätten – also Mitgliedsinstitute bei Schieflage durch Zuwendungen stützen. „Indes ist hier für Geldanlagen zumeist ein Verwahrentgelt zu zahlen, wenn überhaupt noch höhere Beträge als Einlage angenommen werden. Die Europäische Zentralbank erhebt derzeit einen Einlagenzins von 0,5 Prozent (Minuszins)“ – so heißt es vonseiten der Gemeinde. Sie weist ausdrücklich darauf hin, dass „der Bayerische Kommunale Prüfungsverband in seinem Geschäftsbericht 2017 ausdrücklich betont hat, dass weiterhin eine Geldanlage bei Privatbanken zugelassen ist.“

Allerdings befindet sich die Autobahngemeinde mit in guter Gesellschaft: Zahlreiche Kommunen in ganz Deutschland sind den Verlockungen von Greensill erlegen. Rund 50 sollen es nach Angaben der „Zeit“ sein. Der Freistaat Thüringen hat rund 50 Millionen Euro auf seinen Konten bei dieser Bank liegen, Monheim in Nordrhein-Westfalen 38 Millionen, Eschborn in Hessen 35 Millionen, Osnabrück 14 Millionen, Vaterstetten, 5,5 Millionen, Pöcking fünf Millionen.

Seit 2017 keine Einlagensicherung für Kommunen

So gesehen kommt Denkendorf mit seiner Million noch relativ glimpflich weg – was Gemeindeverwaltung und die knapp 5000 Bürger nur wenig trösten dürfte. Insgesamt ging es nach unterschiedlichen ersten Schätzungen um bis zu 300 Millionen an öffentlichen Geldern, die im schlimmsten Fall verloren wären. Zwar gibt es die gesetzliche Einlagensicherung. Sie schützt 100.000 Euro pro Sparer: Darüber hinaus war Greensill Mitglied im freiwilligen Einlagensicherungsfonds der privaten Banken – auch die müssen also letztlich für den Fall bluten. Deshalb sind immerhin 750.000 Euro pro Kunde geschützt und müssen rückerstattet werden. Nur gilt das nicht für Kommunen. Denn seit 2017 schützt der Einlagensicherungsfonds deren Kapital nicht mehr.

Aus dem (Geld-)Verkehr gezogen: Nachricht der Bafin auf der Internetseite der Greensill-Bank.

Dessen ist sich auch das Denkendorfer Rathaus bewusst. Möglich sei ein weitgehender Totalverlust der Einlage, hieß es in einer ersten Stellungnahme. Bürgermeisterin Claudia Forster zeigte sich nach der Insolvenz im  März schockiert: „Ich bin entsetzt über diese Nachricht. Wir haben ja keine spekulativen Finanzgeschäfte vorgenommen mit undurchsichtigen Produkten, sondern ganz konservativ Festgeld bei einer deutschen Bank angelegt. Wir haben auf die deutsche Bankenaufsicht vertraut. Offenbar sind nicht nur wir, sondern auch viele andere Sparer und Anleger wohl Opfer einer fehlerhaften Abschlussprüfung, möglicherweise aber auch krimineller Machenschaften geworden. Die BaFin hat auf jeden Fall zu lange gezögert.“ Seit dem Wirecard-Desaster steht die Behörde ohnehin unter Kritik und hat vor Kurzem einen neuen Chef bekommen, der sie nun neu ausrichten soll.

Mehrere Kommunen warfen auch hier der Finanzaufsicht vor, zu spät über die Probleme bei der Greensill Bank informiert zu haben. Sie prüfen Haftungsansprüche und wollen sich zusammentun, um aus der Insolvenzmasse einen Teil ihrer Einlagen zurückzuerhalten, wie beispielsweise Monheim ankündigte. Die BaFin wehrt sich: Die Stadtkämmerer seien in der Fachpresse mehrfach darauf hingewiesen worden, dass die Gelder von Kommunen nicht mehr geschützt seien.

Zweifelhaftes Wachstum

Hinzu kommt auch einmal mehr eine ungute Rolle der Ratingagenturen: 2019 genoss Greensill ebenso wie 2020 ein gutes Rating bei den Anlagen. Dabei hätten Experten auch misstrauisch werden können, denn die Einlagen und die Bilanzsumme der Bank explodierten förmlich in kürzester Zeit. Die Einlagen wuchsen von 582 Millionen im Jahr 2018 auf 3267 Millionen im Jahr 2019. Im selben Zeitraum wuchs die Bilanzsumme von 666 Millionen auf 3810 Millionen. Zwar stieg auch das Eigenkapital an – aber in geringerem Umfang: von 73 Millionen auf 522 Millionen.

Die BaFin habe angesichts solcher Zahlen nicht früh und genau genug hingeschaut, ist nun von vielen Seiten zu hören. Doch die Bankenaufseher leiteten bereits im vorigen Sommer Untersuchungen ein. Sie waren jedoch wegen eines anderen Vorfalls misstrauisch geworden. Greensill hatte sich bei einem indischen Unternehmen stark engagiert. Es handelte sich um den Stahlkonzern von Sanjeev Gupta, der Niederlassungen in 30 Ländern besitzt und weiter expandieren wollte. Derselbe Sanjeev Gupta übrigens, der mit seinem britischen Stahlunternehmen Liberty Steel auch die Stahlsparte von Thyssenkrupp übernehmen wollte. Die Greensill Bank übernahm die Finanzierung für seine Expansionspläne und geriet dabei zunehmend in Schieflage.

Solche Transaktionen werden entsprechend abgesichert, in diesem Fall von der Bond & Credit Company, und der wurde die Sache zu heiß. Sie wollte die entsprechenden Policen nicht verlängern. Nun wurde, wie gesagt, die BaFin aktiv. Erste Geldgeber sprangen ab. Ein japanischer Großinvestor schrieb seine Investitionen bei Greensill ab. Im Februar schließlich beschloss Greensill seine Gupta-Vermögenswerte zu verkaufen – doch niemand wollte sie.

Dann ging alles ganz schnell. Am 3. März wurde bekannt, dass die BaFin für die Greensill Bank AG ein Veräußerungs- und Zahlungsverbot erlassen hat. Zugleich untersagte die BaFin der Bank, Zahlungen entgegenzunehmen, die nicht zur Tilgung von Schulden gegenüber der Greensill Bank gebraucht würden. Ziel dieses Moratoriums war es, Vermögenswerte in einem geordneten Verfahren zu sichern. Die Finanzaufsicht hatte zuvor bei einer Sonderprüfung feststellen müssen, dass das Bremer Geldhaus die Existenz von bilanzierten Forderungen nicht nachweisen konnte, die es von der GFG Alliance Group angekauft hatte. Außer der Verhängung des Moratoriums erstattete die BaFin Strafanzeige wegen Bilanzmanipulation. Am 16. März beantragte die Greensill Bank in Bremen Insolvenz, nachdem schon die Muttergesellschaft in London denselben Schritt hatte unternehmen müssen.

Denkendorf bis 3. März ahnungslos

Bis zum 3. März blieb man in Denkendorf ahnungslos. Was hinter den Kulissen abgelaufen war, hatte man nicht mitbekommen. Bis dahin hatte man sich dort auf vertrauenswürdige Rahmenbedingungen verlassen: Bank in Deutschland mit deutscher Bankerlaubnis, unter der Aufsicht der BaFin, Mitglied im Bundesverband deutscher Banken und des Einlagensicherungsfonds, ein gutes Rating. Dazu ein für die heutige Zeit zwar attraktiver, aber doch sehr überschaubarer Zinssatz – was sollte da schon schiefgehen? „Die Anlage eines Festgeldes in diesem Umfeld auf Zeit und begrenzter Höhe wurde von der Gemeindekämmerei als vertretbar eingeschätzt“, heißt es in der Pressemitteilung der Gemeinde.

Was das Rathaus besonders erzürnt: „Die Gemeinde Denkendorf hat vom Moratorium über das Vermögen der Greensill Bank AG über die Presse erfahren.“ Sofort informierte sie das Landratsamt Eichstätt als Kommunalaufsichtsbehörde und als überörtliches Rechnungsprüfungsorgan. Außerdem hat Denkendorf eine Rechtsanwaltskanzlei mit der Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragt, um Schadensersatz- und Rückzahlungsansprüche zu prüfen und diese für die Gemeinde durchzusetzen. Zudem wurde der Bayerische Gemeindetag gebeten, sich auf der Ebene des Deutschen Gemeindetages für eine gemeinsame Vertretung der voraussichtlich geschädigten kommunalen Anleger einzusetzen.

„Das macht durchaus Mut“

Unter der Federführung der Stadt Monheim am Rhein haben sich 17 Kommunen aus dem gesamten Bundesgebiet zusammengeschlossen, um ihre Ansprüche anzumelden und ihre Interessen zu vertreten. Nach den jüngsten Ereignissen sieht es so aus, als könnte ein Totalverlust vermieden werden.  Bei der Gläubigerversammlung am 8. Juni war Denkendorf ebenfalls über Monheim vertreten. Wie Bürgermeister Daniel Zimmermann aus der Versammlung berichtet, machte Insolvenzverwalter Michael Frege Hoffnungen, ohne aber etwas versprechen zu können. Es gebe Möglichkeiten, finanzielle Mittel zu sichern. Jedenfalls hat er sich vorgenommen, in den nächsten fünf Jahren bis zu zwei Milliarden Euro einzusammeln. Das würde einer Quote von 25 bis 30 Prozent der eingelegten Gelder bedeuten. „Das macht durchaus Mut“, erklärte Bürgermeister Zimmermann. Und er gibt sich kämpferisch: „Wir werden unsere Rolle als Gläubiger gemeinsam mit allen anderen Kommunen nun auch konsequent weiternutzen, damit im Gläubigerausschuss keine Dinge passieren, die unseren Interessen zuwiderlaufen.“

Für ein allgemeines Aufatmen ist es noch zu früh. Selbst wenn in einigen Jahren ein Drittel der Million zurückfließen könnte, bleiben immer noch rund 670.000 Euro, die als Verlust verbucht werden müssen. Eine große Belastung für die Gemeinde, aber auch eine Bürde für die Bürgermeisterin. Sie hat übrigens vor einiger Zeit Nachricht von der Kommunalaufsicht bekommen, die sie gleich zu Beginn eingeschaltet hatte. „Wir haben alle Unterlagen rechtsaufsichtlich überprüfen lassen“, erklärt Claudia Forster. Das Ergebnis: Ein Fehlverhalten wurde nicht festgestellt, weder bei ihr noch in der Kämmerei.

Auf jeden Fall will die Gemeinde den Vorfall zum Anlass nehmen, die Anlagestrategie allgemein erneut auf den Prüfstand zu stellen und die Abläufe zur Entscheidungsfindung einer Schwachstellenanalyse zu unterwerfen. „Die weitere Verfolgung der Angelegenheit erfolgt in enger Abstimmung mit dem örtlichen Rechnungsprüfungsausschuss sowie dem Gemeinderat insgesamt“, heißt es weiterhin. Und auch politische Kanäle will Forster nutzen.

Erst Wirecard, dann Greensill – BaFin in der Kritik

Die Aufarbeitung hat gerade erst begonnen. Die BaFin aber ist nach dem Wirecard-Skandal erneut in die negativen Schlagzeilen geraten, und auch an den Kämmerern der betroffenen Kommunen und an den Gemeinden selbst wird Kritik geübt. Für Michael Peters von der Bürgerbewegung Finanzwende war die Anlage bei Greensill unverantwortlich: „Sie haben das Geld ihrer Einwohner wegen ein paar Promille höherer Zinsen einer Bank anvertraut, die bereits seit einiger Zeit von kritischer Berichterstattung begleitet wurde. Die Kämmerer müssen nun zu ihrer Verantwortung stehen.“

Allerdings wussten offenbar auch ausgewiesene Experten und Finanzprofis lange nichts von einer möglichen Schieflage der Bank. Ist es gerechtfertigt, von Gemeinden und ihren Kämmerern zu verlangen, was dem viele Milliarden Euro schweren japanischen Großinvestor Softbank oder der renommierten Credit Suisse entgangen ist?

Und die BaFin? Wäre sie nicht verpflichtet gewesen, sofort bei der Aufnahme der Prüfung ein deutliches öffentliches Signal zu setzen? Der SPD-Abgeordnete Jens Zimmermann nimmt die Behörde in Schutz. Die BaFin habe Anleger aufgrund ihrer Verschwiegenheitspflicht nicht über laufende Sonderprüfungen bei der Bank informieren dürfen: „Dass diese Regelung problematisch ist, wissen wir bereits vom Wirecard-Skandal.“ Der Bundestag werde den Fall alsbald genauer untersuchen.

Welche Auswirkungen die Greensill-Pleite auf die Gemeinde Denkendorf haben wird, ist derzeit nicht abschätzbar. Sie könne dazu nichts sagen, weil vieles noch offen sei, teilte Bürgermeisterin Claudia Forster mit.

Quelle
Alona Bartenschlager
Schaltfläche "Zurück zum Anfang"