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„Zurück zur Natur“

Im Friedwald in Pappenheim kann man sich unter Bäumen bestatten lassen

Bäume sind Symbole des Lebens. Schon immer haben sie Menschen fasziniert und geprägt: Linden auf Dorfplätzen, Kastanien in Biergärten, und in der Region etwa die eindrucksvoll-majestätische Bavaria-Buche oder die Eichen im „Eich-stätter“ Stadtwappen. Wer hinauf in die Baumkrone blickt, empfindet Sicherheit, Geborgenheit, Ruhe und Frieden. Immer mehr Menschen in Deutschland wünschen sich daher, unter einem Baum bestattet zu werden, der nach dem Tod über sie wachen und an sie erinnern soll – und in dem sie vielleicht ein Stück weit weiterleben. So wie im „FriedWald Altmühltal“ in Pappenheim.

Bestattung im Grünen: Anne Chomiak zeigt den Interessenten die Möglichkeiten einer Bestattung im Friedwald bei Pappenheim. Fotos: zengerle/oh

Von Stephan Zengerle

Es riecht dezent-würzig nach Moos, feuchter Erde und Harz, die Sonne scheint durch das sommerlich grüne Blätterdach, die idyllische Stille wird nur durch leises Vogelzwitschern aufgelockert. In der kleinen Gruppe, die gerade auf dem Waldweg näherkommt, wird leise gemurmelt und auch einmal gelacht, aber es herrscht auch eine andächtige Stimmung. Schließlich ist allen bewusst, dass dieses Waldstück bei Pappenheim etwas Besonderes ist. Es ist kein Wanderausflug, sondern eine Führung, an der die Gruppe teilnimmt. Sie wollen den „FriedWald Altmühltal“ sehen – und sind dafür zum Teil von weit her gekommen, wie auch die Autonummern auf dem nahegelegenen, gut gefüllten Schotterparkplatz im Wald zeigen.

Vom Weg geht es nun ein paar Schritte in den Wald hinein, wo einige Bäume mit blauen und gelben Bändern gekennzeichnet sind. Sie zeigen an, dass man sie sich noch als letzte Ruhestätte aussuchen kann. Blaue Bänder kennzeichnen Bäume, die man für sich und seine Familie für ursprünglich bis zu 99 Jahre sichern konnte. Da es den Friedwald hier inzwischen seit 2013 gibt, sind es inzwischen noch 92 Jahre. Gelbe Bändern kennzeichnen Gemeinschaftsbäume, wo man einzelne Plätze für 15 Jahre erwerben kann. Die Zahl der Bestattungsplätze und Preise hängt von verschiedenen Faktoren wie etwa der Größe des Baumes ab, wie Anne Chomiak der Gruppe aus einem Dutzend Interessenten erklärt, die in Coronazeiten mit Mundschutz und Abstand im Wald steht und die Bäume genau ansieht. Neben den Bändern gibt es Nummern und Farben, die die Kosten angeben. Je besser die Lage und je dicker der Baum, desto mehr Bestattungsplätze und desto höher auch die Kosten, erklärt Chomiak der Gruppe. Auch günstige Varianten ohne die freie Baumwahl gibt es.

 „Hier findest du Frieden“

An einigen Bäumen sind dezente, dunkle Plaketten mit Bildern, einem Gedicht oder Spruch angebracht, manche tragen nur den Namen und Geburts- und Sterbedatum der hier ruhenden Menschen. „Hier findest du Frieden“ steht unter einem Namen und einem Foto auf einem der Schilder. „Aus welchem Material sind denn die Nägel“, will ein Herr wissen. Kupfer sei schließlich schädlich für die Bäume. „Da kann ich sie beruhigen: Die sind aus Aluminium, also dem Metall, das den Bäumen am wenigsten schadet“, sagt Chomiak. Es geht um viele Details. die wie bei jeder anderen Beisetzung auch geklärt werden müssen. Und die Geschmäcker sind eben verschieden – auch in Sachen Bestattung und Bäumen. Und viele Menschen wollen das gerne noch zu Lebzeiten tun – um niemandem zur Last zu fallen und um sich den Platz ihrer letzten Ruhestätte selbst auszusuchen.

Letzte Ruhestätte Wald: Waldbestattungen wie hier im Friedwald bei Pappenheim werden immer beliebter. Unter den Baumkronen kann man sich gegen entsprechende Gebühr einen Bestattungsplatz in einer biologisch abbaubaren Urne aussuchen.

Ein idyllischer Ort im Wald wie hier oberhalb von Pappenheim ist da nicht nur für die Gruppe heute eine attraktive Alternative zu Urnenwänden oder der geordneten Enge so mancher Friedhofsverordnung, wie auch eine der teilnehmenden Damen bestätigt: „Ich komme ursprünglich aus Baden-Württemberg“, erzählt sie. Sie fühle sich auf den streng geordneten bayerischen Friedhöfen nicht so wohl. „Mir ist das einfach zu akkurat.“ Auch anderen der Teilnehmer geht das so: Da gebe es bisweilen einen Wettstreit, wer das Grab schöner schmücke. Oft sei die Familie auch einfach verstreut und könne oder wolle sich nicht so um die Grabpflege kümmern.

Hier im Friedwald ist das sogar verboten. „Grabschmuck“ werde hier gleich wieder entfernt, erklärt Anne Chomiak, die eigentlich Försterin ist und schon deshalb ein echter Fan des Waldes und der Bäume sei, wie sie sagt. „Der Wald sorgt schon selbst für den schönen Schmuck.“ Da gebe es je nach Jahreszeit bunte Blumenteppiche aus Buschwindröschen und anderen Waldblumen oder im Herbst einen Blättersaum.

Bisher fast 3000 Baumbestattungen in Pappenheim

Rund 2930 Menschen haben hier im Waldstück in Pappenheim bis Ende Juli 2020 bereits ihre letzte Ruhe gefunden, wie die FriedWald GmbH mit Sitz in Griesheim damals mitteilt, die sich auch den Namen „Friedwald“ rechtlich gesichert hat. Andere Unternehmen, die solche Baumbestattungen, die ursprünglich aus der Schweiz kommen, anbieten, nennen ihre dafür vorgesehenen Waldstücke „Ruheforst“ oder „Gedenkwald an“. Den ersten Friedwald hat sie 2001 im Reinhardswald bei Kassel eröffnet.

Bundesweit waren es bis Ende Juli 2020 insgesamt rund 298.000 Bestattungen in den inzwischen mehr als 70 Friedwäldern – Tendenz steigend: Waren es 2017 noch gut 14.011 Menschen, die in den Friedwäldern ihre letzte Ruhe gefunden haben, lag die Zahl im Jahr 2019 bereits bei 15.898. In Pappenheim als einem von drei und dem bisher südlichsten Standort in Bayern, lag die Zahl in den letzten Jahren in etwa bei drei Bestattungen pro Woche: 2017 waren es 158, 2018 177 und 2019 dann 155 Beisetzungen. Die bisher fünf Hektar sollen daher schon bald erweitert werden.

Verbindung mit der Natur: Viele Menschen wünschen sich eine solche Rückkehr zur Natur als letzte Ruhestätte.

Die Beisetzungen finden mit biologisch abbaubaren Urnen, die auf dem natürlichen Holzbestandteil Lignin basieren, statt. „Die lösen sich in fünf bis sieben Jahren auf“, wie Anne Chomiak erklärt. Und sie werden mindestens 80 Zentimeter tief im Waldboden beigesetzt – ganz so, wie es die deutschen Gesetze vorsehen. Denn hierzulande gibt es auch für die Zeit nach dem Tod klare Regeln: Es besteht Friedhofs- und Bestattungspflicht. Die Urne wird daher auch vom Bestatter begleitet, allerdings besteht die Möglichkeit, auch hier aktiv mitzuwirken.

„So sieht die Urne aus“, zeigt Anne Chomiak, die in ihrer sympathischen Art keine Fragen offen lässt und neben sachlichen Informationen und andächtigen Tönen die Gäste auch immer wieder mit humorvollen Bemerkungen zum Lachen bringt – etwa wie man sich die Schwiegermutter oder andere unliebsame Familienmitglieder auch hier am letzten Ruheplatz unter dem Baum im übertragenen Sinne vom Leib halten kann – selbst wenn der im realen Leben sich in Asche mit Boden und vielleicht ja dem Baum verbunden hat. „Asche zu Asche und Staub zu Staub“, zitiert einer der Gäste später die naheliegende Stelle aus der christlichen Liturgie.

Kirchen erst skeptisch, dann offen

Chomiak kennt all diese Fragen aus ihrer Erfahrung – es menschelt eben auch auf den letzten Lebenswegen. Ganz besonders, als dann auch noch zufällig eine Gruppe junger Herren auf Wanderung vorbeikommt, mit laut aufgedrehter Musik und ausgerechnet dem „Rammstein“-Lied „Mein Teil“ mit seinem etwas makabren Liedtext, in dem es um Kannibalen geht, wird es dann kurz ein wenig skurril. Aber die jungen Männer haben auch alle ein freundliches „Grüß Gott!“ auf den Lippen.

Am Andachtsplatz geht es dann wieder ruhig und andächtig zu. Auf der idyllisch gelegenen kleinen Lichtung stehen Holzbänke und ein großer Steinquader, der als eine Art Altar dient. Überragt wird das Ganze von einem großen, schlichten Holzkreuz. Die christlichen Kirchen hatten Baumbestattungen zunächst abgelehnt, weil sie in der Vorstellung mancher pantheistischer oder naturreligiöser Ideen nahekommen könnten. „Die Konzeption des so genannten ‚Friedwaldes‘ lässt zentrale Elemente einer humanen und christlichen Bestattungskultur vermissen“, hatten katholische Kirchenvertreter im Nachgang der Einrichtung des ersten Friedwalds in Deutschland noch kritisiert.

„Evangelische, katholische, hinduistische, jüdische, buddhistische und andere Bestattungen“

Auch die evangelische Kirche war zunächst skeptisch. Inzwischen aber hat sich das so weit gelegt, dass es heute sogar Kooperationen gibt – wie eben in Pappenheim. Denn der hiesige heißt nicht umsonst „Evangelisch-Lutherischer FriedWald Altmühltal“. Der Wald wird von der Kommune zur Verfügung gestellt, die Trägerschaft übernimmt die evangelische Landeskirche. Der Friedwald schließt aber niemanden aus: „Wir hatten hier schon katholische, hinduistische, jüdische, buddhistische und andere Bestattungen“, erzählt Anne Chomiak – „also so ziemlich alles, was es so gibt.“ Jeder könne das Bestattungsritual so bestimmen, wie er es möchte – im kleinen Kreis oder mit großer Gruppe, mit Musik, mit Grabredner, Blütenblättern oder biologisch abbaubaren Grabbeigaben.

Egal in welcher Ausführung und unter welcher Baumart – für viele Menschen ist die natürliche Umgebung unter der schützenden Baumkrone jedenfalls eine echte Alternative. Er sei Atheist, und mit den christlichen Ritualen könne er nicht so viel anfangen, erzählt einer der Teilnehmer. Aber eine schöne Bestattung wünscht er sich trotzdem. Aber auch gläubige Menschen entdecken hier etwas. Ein Baum im Wald sei einfach ein schöner Ort der Erinnerung, meint eine sympathische ältere Dame, die mit ihrem Mann gekommen ist und die gerade noch händchenhaltend wie ein Herz und eine Seele durch den Wald gelaufen sind. „Zurück zur Natur“, fügt ihr Mann hinzu, und die Umstehenden nicken zustimmend. Die beiden haben sich schon entschieden: Sie werden sich ihren Baum als letzte Ruhestätte aussuchen.

Knochensammlung, Gruft, Urnengräber

Quelle
Eichstätter Journal, Ausgabe 04/2020
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