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„Meilenstein“ und „Marathon“

Kreistag fasst erste Beschlüsse zur Zukunft der Kliniken im Naturpark Altmühltal

Eichstätt. – Die entscheidenden Fragen sind auch nach rund einem Jahr der Diskussionen und Debatten noch offen – vor allem die, welcher von beiden Standorten, Eichstätt oder Kösching, denn nun ein Krankenhaus mit Akutversorgung bleibt und was mit dem anderen Standort geschieht. Dennoch: In der Frage der Zukunft der Kliniken im Naturpark Altmühltal sind nun die ersten Entscheidungen getroffen: Die Lösung auf der „grünen Wiese“, die zwischenzeitlich zur Debatte stand, ist endgültig vom Tisch. Es wird nur noch ein Krankenhaus mit Akutversorgung im Landkreis Eichstätt geben – der jeweils andere Standort wird zu einem Gesundheitszentrum oder einer Fachklinik. Und die Zusammenarbeit mit den anderen Krankenhäusern in der Region 10 könnte deutlich intensiver werden, als in der Vergangenheit vorstellbar. Das ist alles nicht überraschend – aber nun beschlossene Sache – „ein Meilenstein“, wie Landrat Alexander Anetsberger sagte.

Nur noch eine Klinik mit akutstationärer Versorgung wird es in Zukunft im Landkreis geben – das beschloss der Kreistag nach eingehender Beartung mit Martin Pesch (2. v. li.), Chefarzt für Anästhesie und Intensivmedizin an den beiden Kliniken, und Stefan Kalliga (4. v. li.), dem Leiter des Rettungsdienstes im Landkreis, als Vertretern aus der Praxis. Fotos: Zengerle

Von Stephan Zengerle

Was wird es denn nun: Eichstätt oder Kösching? Die Frage, die sich nicht nur die Mitarbeiter der Kliniken im Naturpark Altmühltal an beiden Standorten seit vielen Monaten stellen, bleibt weiter unbeantwortet. Doch daran, dass etwas passieren muss, blieb in der letzten Sitzung eines Kreistagsjahres 2021 voller Diskussionen, Einschätzungen, Gutachten und Gesprächen auf verschiedensten Ebenen rund um das neben Corona wohl prägendste Thema des Jahres, nicht der kleinste Zweifel. Man habe in den letzten Monaten einen Crashkurs durch die Krankenhauslandschaft erhalten, so Anton Haunsberger im Laufe der erneuten Sitzung rund um das Thema.

Nur noch ein Klinikstandort mit akutsationärer Versorgung

Erstmals aber hat das Gremium nun in der Sache auch konkrete Entscheidungen getroffen – wenn auch wenig überraschende: Die im Oberender-Gutachten als interessante Option eines Neubaus auf der grünen Wiese – etwa bei Eitensheim als möglichem Standort – dargestellte dritte Variante ist vom Tisch. Diese Option hatte seit der Vorstellung der Ergebnisse des Gutachtens durch die Oberender-Experten nicht nur an den beiden bestehenden Standorten und andernorst im Landkreis für Diskussionen gesorgt, sondern durch eine befürchtete neue Konkurrenzsituation quasi in Sichtweite zum Klinikum auch für massive Verärgerung in Ingolstadt, wie Landrat Alexander Anetsberger in der Kreistagssitzung gestern erklärte.

Nun also steht es auch schwarz auf weiß im Protokoll der Kreistagssitzung, dass es zudem in Zukunft nur noch einen der beiden bestehenden Klinikstandort mit akutsationärer Versorgung geben wird – also auch nur noch eine echte Notfallversorgung. Was das bedeutet, wie die Lage und die Abläufe der Notfallversorgung im Landkreis seien und wie die Notfallversorgung bei nur noch einem verbleibenden Akutversorger im Landkreis organisiert werden könne, war das Hauptthema der Kreistagssitzung.

Knapp 600.000 Kilometer in Sachen Notfallversorgung

Es sind durchaus beeindruckende Zahlen: Über 15.000 Einsätze und knapp 595.000 Kilometer in einem Jahr habe das Bayerische Rote Kreuz, das im Landkreis für den Rettungsdienst zuständig ist, im vergangenen Jahr zurückgelegt. Auch wenn das nicht ausschließlich kritische Rettungseinsätze umfasst, zeigt es doch, welche Bedeutung die präklinische Notfallversorgung durch die Rettungsdienste im Landkreis hat. Gerade in Coronazeiten habe man dabei oft das Problem, dass sich oft mehrere der umliegenden Krankenhäuser „abgemeldet“ hätten, weil notwendige Intensivbetten durch Coronapatienten belegt seien, so Stefan Kalliga, der Leiter des BRK-Rettungsdienstes im Landkreis. Man habe derzeit stündliche Abmeldungen und manchmal fünf Häuser gleichzeitig, die sich abgemeldet hätten und müsse dann zum Teil warten, bis man eine Anfahrtsstelle zugewiesen bekomme, berichtete er auf rege Nachfrage aus dem Gremium über den Alltag in Coronazeiten.

Oft geht es dabei um „zeitkritische“ Erkrankungen wie Herzinfarkte oder Schlaganfälle, wo eine schnelle und umfassende Versorgung besonders wichtig sei. Ziel sei es zunächst, den Patienten vor Ort zu stabilisieren und transportfähig zu bekommen, um ihn dann schnellstmöglich in ein entsprechend ausgestattetes Krankenhaus zu bringen, wie auch Martin Pesch erläuterte, der als Chefarzt für Anästhesie und Intensivmedizin an beiden Klinikstandorten für die Notfallmedizin zuständig ist. Die Kreiskliniken seien generell in der Lage, einen Großteil der Notfälle adäquat zu versorgen. Auch bei den übrigen Fällen sei es oft sinnvoll, die Patienten zunächst in der nächstgelegenen Klinik zu versorgen und dann erst zu verlegen.

Defizit von 6,7 Millionen Euro erwartet

Planen aber müsse man nun für eine Zeit nach Corona, wie es auch aus dem Kreistag hieß – und da sei sowohl die Versorgung als auch die Zahl der Patienten nach einer Übergangszeit an einem Standort machbar, wie alle Beteiligten erklärten – und zwar aufgrund wachsender Anforderungen durch bauliche, strukturelle und personelle Voraussetzungen weit besser und kostengünstiger als als an zwei Standorten, wie Marco Fürsich als Geschäftsführer der Kliniken betonte. Darum geht es auch bei der aktuellen Standortfrage: Parallelstrukturen könne man sich in Zeiten der wachsenden Anforderungen, der Ambulantisierung und Spezialisierung sowie des grasierenden Fachkräftemangel als zentraler Herausforderung der Zukunft nicht leisten. Auch in diesem Jahr rechneten die Kreiskliniken zuletzt mit einem erheblichen Defizit von 6,7 Millionen Euro – trotz Zuschüssen in Sachen Corona.

Auch wenn hierzu keine Entscheidung anstand, ging es letztlich auch in Sachen Notfallversorgung wieder um die Gretchenfrage des Standorts für das verbleibende vollwertige Krankenhaus mit Notfallversorgung: Auf den Standort Kösching seien 2019 von insgesamt 28.900 Patienten in der Notaufnahme mit rund 17.000 Fällen mehr Notfallpatienten entfallen als auf Eichstätt, so eine Mitarbeiterin der Klinik Kösching mit in einer Art rhetorischen Frage an die Experten: Wie wolle man das denn in Eichstätt bewältigen? Man müsse zunächst einmal kritisch hinterfragen und differenzieren, was die genannten Patientenzahlen anbelange – nämlich, wieviele davon echte Notfälle seien oder eben solche, die eigentlich ambulant in einer Praxis versorgt werden müssten, so Fürsich. Die Zahlen werde man noch aufarbeiten. Bereits getan hat man das für die mittlere Fahrzeit aufgrund der Entfernung etwa bei den Patienten mit einem Anfahrtsweg über 30 Minuten auch bei einer Aufschlüsselung nach Ortsteilen zur Klinik Eichstätt mit 10.426 im Vergleich zu 9.703 im Falle von Kösching, wie Fürsuch zuvor berichtet hatte.

Auf dem Weg zu einer medizinischen „Versorgungsregion 10“

Es gehe letztlich darum, die Patienten möglichst gut zu versorgen – unabhängig vom Standort. Die bestmögliche medizinische Versorgung für die Bevölkerung im Landkreis und in der Region Eichstätt in Kombination mit einer wirtschaftlichen Tragfähigkeit sei hier das Thema – auch in Zusammenarbeit mit den Partnern in der Region wie dem Klinikum Ingolstadt oder in Neuburg.

Hier sei vieles in letzter Zeit nicht erst durch die jüngsten Gespräche einer Übernahme des Neuburger Krankenhauses, das zum Verkauf steht, durch das Klinikum Ingolstadt in Bewegung gekommen. Es habe sich ein Fenster für Gespräche aufgetan, das es bisher nicht gegeben habe, bestätigte auch Anton Haunsberger (FW) etwa aus eigenen Recherchen – aber auch andere Vertreter im Kreistag, wie auch Landrat Anetsberger und Marco Fürsich aus ihren Gesprächen mit den Verantwortlichen in der Region 10 berichten konnten. Es gebe endlich die Chance zu einer eingehenderen und komplexeren Zusammenarbeit in der Region als in der Vergangenheit, so die Einschätzung – für die Schaffung einer medizinischen „Versorgungsregion 10“, wie es Dieter Betz nannte (SPD).

Einen „400-Meter-Sprint“ auf dem Weg zum Ziel wünschte sich Willi Reinbold (vorne) nach dem bisherigen „Marathonlauf“ in Sachen Agenda 2030 der Kliniken im Landkreis in seinem abschließenden Statement.

Und so beauftragte der Kreistag auch in seinem Beschluss die Verantwortlichen einstimmig, die Gespräche mit Ingolstadt und auch den Landkreisen in der Region 10 „mit dem Ziel der medizinischen Versorgung“ umgehend fortzuführen. Der Änderungsantrag von Theresia Asbach-Behringer (JFW), beide Klinik-Standorte für die Akutversorgung im Landkreis zu erhalten oder alternativ einen komplett und den anderen zeitlich eingeschränkt etwa von 7 bis 19 Uhr zu betreiben, wurde abgelehnt. Das sei auch kaum praktikabel, so die anwesenden Praktiker, weil sich Notfälle einfach nicht an Uhrzeiten hielten – was bei diesem Modell zu permanenten Überstunden führen würde. Stattdessen entschied sich das Gremium für die Ein-Standort-Lösung in Sachen Akutversorgung in Verbindung mit einem zweiten Standort als Gesundheitszentrum und/oder Fachklinik.

Psychiatrische Tagesklinik in Eichstätt nur in Anbindung an akutstationäre Versorgung

Kleinere Diskussionen entbrannten um die Frage, ob die geplante psychiatrische Tagesklinik mit 20 Plätzen in Eichstätt unter medizinischer Führung des Zentrums für Psychische Gesundheit im Klinikum Ingolstadt wie angedacht nur in Anbindung an ein Krankenhaus der Akutversorgung möglich sei. Dazu gebe es einen Bescheid des Gesundheitsministeriums von 2017, der genau eine solche „unmittelbare Anbindung an die Klinik Eichstätt“ fordere. Das sei weiter aktuell, bestätigte auch Fürsich nach Gesprächen mit dem Klinikum, die wiederum mit dem Ministerium darüber gesprochen hätten. Andrea Ernhofer (SPD), Kreisrätin und bis letztes Jahr noch Bürgermeisterin in Kösching, und Andrea Mickel (SPD) aus Geimersheim stellten in Frage, ob das nicht auch wie in anderen ähnlichen Einrichtungen in Oberbayern durch Anbindung an eine andere medizinische Einrichtung möglich sei – sicherlich auch, weil das eine Art Zünglein an der Waage zugunsten der Klinik Eichstätt für den Akutstandort in der Standortfrage sein könnte.

Reinhard Eichiner (CSU), der als langjähriger Bezirksrat in der Vergangenheit selbst in Gesprächen mit dem Ministerium war, bestätigte, dass die Tagesklinik nur in Anbindung an die Klinik Eichstätt möglich sei. Wenn man hier „weiter von außen zündelt“ und damit den Standort in Frage stelle, setze man die gesamte Ansiedelung der Tagesklinik aufs Spiel, da man sich sonst nach anderen Standorten umsehen werde – da gebe es weitere Interessenten wie beispielsweise in Schrobenhausen. Landrat Anetsberger betonte, man werde an dem Thema dranbleiben und hier für mehr Klarheit sorgen. Er stellte klar, dass die Standortfrage ausschließlich in den Händen des Bezirks und des Klinikums liege, warnte aber ebenfalls vor einer weiteren „Wendung“ in der ohnehin schon wendungsreichen Diskussion rund um das Thema. Er werde in Gesprächen in Ingolstadt noch einmal nachhaken.

Ausbau der Pflegeklasse der Hans-Weinberger-Akademie in Eichstätt angedacht

Und noch ein weiteres mögliches Argument für den Standort Eichstätt lieferte eine insgesamt aber für den gesamten Landkreis erfreuliche Nachricht des Landrats aus Gesprächen mit der Hans-Weinberger-Akademie (HWA). Die betreibt im Förderzentrum Eichstätt eine Pflegeschule für derzeit rund 20 Pflegekräfte pro Jahrgang. Hier habe sich in Gesprächen die Möglichkeit aufgetan, eine Verdoppelung zu erreichen – allerdings auf Nachfrage des Landrates nur am bestehenden Standort. Eine Vertreterin der HWA soll aber in der nächsten Kreistagssitzung am 24. Januar mehr dazu erklären.

„Wir haben bereits einen Marathon hinter uns und haben jetzt noch einen 400-Meter-Sprint vor uns, um ins Ziel zu kommen“, so Willi Reinbold (ÖDP) in seinem abschließenden Plädoyer. Auch er sei nicht mit allem einverstanden, aber „wir ziehen hier wirklich alle an einem Strang”, sagte er offensichtlich erfreut mit Blick auf den Kreistag. Eine fundierte und objektive Entscheidung sei notwendig, aber man dürfe sich auch nicht mehr viel Zeit lassen. „Wenn wir uns nicht selbst ändern, werden wir verändert“ – so auch der Tenor von Jakob Mosandl (JU) sowie in den anderen Fraktionen. Die ersten konkreten Schritte sind nun getan – wenig überraschende, aber immerhin. Auf den ersten Meilenstein wird aber der nächste, weit schmerzhaftere noch folgen müssen. Die Standortfrage wird auch im Jahr 2022 weiter heiß diskutiert.

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