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(Un)Echte Vögel: US-Initiative „Birds Aren’t Real“ veräppelt Verschwörungstheorien

Wie junge Menschen in den USA Verschwörungstheorien entlarven – durch eine Verschwörungstheorie

Bielefeld gibt es nicht und Vögel sind nicht real – zwei etwas andere „Verschwörungstheorien“, für die man im Internet allerhand Argumente, Videos und sonstige „Belege“ findet. Zusammengestellt mit zwei Zielen: einerseits unterhalten, andererseits dabei auch aufzeigen, wie Verschwörungstheorien funktionieren, wie offensichtlich zusammenkonstruiert und dennoch wirksam sie sein können. Und dass man selbst die wildesten Dinge verargumentieren kann: zum Beispiel, dass Vögel nicht real sind. Eine besonders unterhaltsame Art, dagegen vorzugehen – und hochaktuell in Zeiten, in denen „echte“ Verschwörungstheorien als bewusste und bösartige Propaganda überall herumgeistern – gerade am Jahrestag des Sturms auf das Kapitol in Washington durch Trumpanhänger.

(Un)Echte Vögel: Erst vor Kurzem hat die New York Times über die „Birds aren’t real“-Initiative berichtet. Kein Wunder – im Jahr 2021 mit all seinen wilden Verschwörungstheorien. Foto: Screenshot

Von Stephan Zengerle

Bielefeld existiert natürlich nicht – logisch, wie könnte es auch? Oder kennen Sie jemanden aus Bielefeld? Falls zufällig ja, sind Sie wohl Teil der Verschwörung. Alles nur eine gut gemachte Täuschung. Dahinter steckt nämlich die „Bielefeldverschwörung“. Schon seit den 90er-Jahren geistert sie als Dauerwitz, bei dem auch die Stadt Bielefeld selbst mitmachte, durch die Weiten des Internets – als frühe Parodie auf sämtliche Verschwörungstheorien, die danach kommen sollten und die gerade in der Coronazeit einmal mehr Hochkonjunktur hatten. Oft bestehn sie aus einer wilden Mischung aus verdrehten, echten Fakten, frei erfundenen Daten und völlig wirren Spinnereien. Je wilder, desto besser und für viele auch glaubhafter (weil noch schwerer zu widerlegen – selbst braucht man ja keine echten Beweise), könnte man manchmal meinen.

Aber nicht nur Bielefeld existiert nicht. Auch die Vögel nicht – vielleicht ja vor allem die, die scheinbar über Bielefeld fliegen. Fliegen tun sie zwar, klar: Man sieht sie ja jeden Tag am Himmel. Aber wenn man den Machern hinter der Initiative „Birds aren’t real“ in den USA glaubt, dann sind es eben keine geflügelten Tiere, die da durch die Luft schweben, sondern Hightechdrohnen: „Vögel sind nicht echt“, so die Übersetzung des Namens der Initiative – jedenfalls die US-amerikanischen: Ein streng geheimes Regierungsprogramm (streng geheim ist immer wichtig, sonst wäre es ja keine Verschwörungstheorie, und Eliten müssen natürlich auch beteiligt sein – am besten irgendeine demokratische Regierung, der man ungestraft „ans Bein pinkeln“ kann) hatten dafür gesorgt, zwischen 1959 und 2001 sämtliche Vögel – laut „Birds aren’t real“ insgesamt zwölf Milliarden Stück – im Rahmen eines „Vogel-Genozids“ zu töten und sie stattdessen durch Hightech-Überwachungsdrohnen zu ersetzen, „die uns immer noch jeden Tag überwachen“, wie es auf der Internetseite der Initiative heißt.

„Beweisstück“: Bauplan für die Übwerwachungsdrohne als „Vogelersatz“. Foto: oh

Aber warum das Ganze? Warum machen sich junge Leute wie Peter McIndoe, der 23-jährige Gründer der Intiative, die Mühe, aufwendige Videos zu produzieren wie ein angeblich in den herkömmlichen Medien „zensiertes“ Werbevideo von „Birds aren’t real“ aus dem Jahr 1987 – also noch bevor McIndoe überhaupt auf der Welt war? Warum tauchten nicht nur Social-Media-Beiträge zu dem Thema auf, sondern erst vor wenigen Wochen sogar Plakatwände in Pittsburgh, Los Angeles oder Memphis, auf denen großflächig verkündet wurde, dass Vögel eben nicht echt seien?

Ganz einfach: Es ist alles eine Parodie – eine geniale dazu. Denn sie spielt mit denselben Mitteln und Methoden, die auch „echte“ Verschwörungstheorien verwenden – und führt dabei all jenen, die damit in Kontakt kommen, plastisch vor Augen, wie Verschwörungserzählungen funktionieren. Wie seltsam real selbst die wildesten erfundenen Geschichten sein können, wenn man sie nur entsprechend gut präsentiert – in den Irrungen und Wirrungen des Internets, wo es fast nichts gibt, was es nicht gibt, gibt es kaum etwas, was es nicht gibt.

Parodie mit Vergangenheit: Dieses – natürlich nachgestellte Video eines angeblich „zensierten“ Werbevideos für „Birds Aren’t Real“ von 1987 zeigt, wie gut gemachte Verschwörungserzählungen ihre eigenen Fakten schaffen.

2021 war so etwas wie das Jahr für solche Theorien – nicht nur, was Corona angeht. Es gibt zwar nicht den kleinsten echten Beweis dafür, der einer ernsthaften Überprüfung standgehalten hätte, und seine Anhänger haben rund 60 Gerichtsprozesse überall in den USA verloren – aber für sie ist Donald Trump immer noch der eigentliche Präsident der USA – und das, obwohl alle Behörden bestätigen, dass es die sicherste Wahl aller Zeiten in den USA gewesen sei. Und der Sturm auf’s Kapitol sei ja vielleicht von der linken „Antifa“ organisiert, um Trump-Anhänger in den Schmutz zu ziehen. Das ist nicht nur abstrus – schließlich waren unter den Eindringenden viele bekannte Gesichter der rechten Szene in den USA wie den „Proud Boys“. Es gibt selbstverständlich auch nicht den kleinsten echten Beweis für diese Behauptung – wie für so viele andere wilde Verschwörungstheorien.

Aber wie entlarvt man solche Erzählungen? Ganz einfach: Indem man noch einen draufsetzt! Und so „Birds Aren’t Real“-Initiative ins Leben gerufen, in der wie der englische Name schon sagt – behauptet wird, dass „Vögel nicht real“ sind, sondern längst durch täuschend echte Spionagedrohnen ersetzt wurden. Eine Erfindung also, die fast so echt erscheint wie Bielefeld.

Der Spaß funktioniert: Hunderttausende von Followern haben sich in den sozialen Medien angeschlossen oder haben die viral gegangenen Videos der Truppe angesehen. Im November versammelten sich Anhänger der Bewegung vor der Twitterzentrale in San Francisco und forderten ein, dass Twitter sein Logo mit dem Vogel ändern solle – schließlich gebe es ja gar keine Vögel mehr. Ein großer Spaß also,  ein Internet-„Meme“, wie man solche humoristisch-satirischen Kreationen im Internet nennt, das ins wahre Leben herüberschwappt – und zwar als Verballhornung all der Verschwörungstheorien und ihrer Verfechter, die genau auf solchen Social-Media-Plattformen wie Twitter oder vor allem Telegram erst ihren Nährboden finden.

Echt oder Fake: Nach „Birds aren’t real“ sind Vögel eigentlich Überwachungsdrohnen im Federkleid. Foto: oh

„Wahnsinn mit Wahnsinn bekämpfen“

Unheimlich wird es dann, wenn reale Medien McIndoe einladen und interviewen und er dann auch noch knallhart bei seiner Story bleibt. Da gefriert dann auch einer hartgesottenen Fernsehmoderatorin eines US-Regionalsenders schnell das Lächeln im Gesicht, wenn sie feststellt, dass er selbst bei rhetorischen Fragen einfach nicht zugeben will, dass es sich um Spaß, um Satire handelt. „Birds Aren’t Real“ sei eine Parodie, eine soziale Bewegung mit einem Ziel: Die jungen Menschen haben sich zusammengeschlossen, um in einer post-faktischen Welt, die von Online-Verschwörungstheorien dominiert werde, etwas entgegenzusetzen. „Es ist eine Art, Probleme in der Welt zu bekämpfen, die es eigentlich nicht gibt“, sagte Claire Chronis, 22, eine Organisatorin von „Birds Aren’t Real“ in Pittsburgh amerikanischen Medien. „Meine Lieblingsart, die Organisation zu beschreiben, ist, Wahnsinn mit Wahnsinn zu bekämpfen.“

Weil gleichzeitig aber gerade die jagdbegeisterten Amerikaner ja regelmäßig Vögel abschießen und daher ja jederzeit auch genau wissen, dass es selbstverständlich natürliche Vögel gibt – eine „Vogeldrohne“ wurde dagegen wohl noch nie vom Himmel geholt –, wird das Ganze hier ad absurdum geführt und geerdet.

Bei echten Verschwörungstheorien dagegen ist gerade das das Perfide: dass sie eben oft so wild zusammengesponnen, aber eben kaum überprüfbar und widerlegbar sind. Im Gegenteil: Die Anhänger sehen überhaupt nicht ein, dass sie es sind, die hier irgendetwas beweisen müssten. Damit verbunden ist schließlich ja auch immer ein Grundmisstrauen gegenüber den Medien allen Politikern, Wissenschaftlern und gesellschaftlichen Institutionen, die ja vermeintlich unter einer Decke steckten.

Nicht mehr zugänglich für Argumente

Vielmehr glauben sie an alle vermeintlichen Indizien, die da minutiös von den eigenen Anhängern oder aber von Hintermännern, die damit ihre eigene Agenda verfolgen – schließlich passt all das ja in ihre Vorstellungen von der Welt. Sie erwarten vielmehr umgekehrt, dass die Gegner beweisen, dass es eben nicht so ist – oder eben nicht einmal das: Sie wollen gar nicht zuhören. Für Argumente sind viele von ihnen schon lange nicht mehr erreichbar. Wer schon einmal mit einem Coronaleugner, der an „Plandemie“ und „Chips im Impfstoff“ oder vielleicht eine jüdische Verschwörung, in die auch Bill Gates irgendwie involviert ist, diskutiert hat, weiß, dass solche Menschen kaum mehr zugänglich sind für sachliche Argumente.

Wie also kriegt man sie eingefangen, wenn Argumentationen nicht mehr helfen? Indem man ihnen Fragen stellt, nachhakt und sich nach Details erkundigt – so lautet ein Rezept („Aha, wie funktioniert das denn im Detail? Kannst du mir das mal genauer erklären?“). Denn wenn Verfechter einmal von den oft nur ganz schlichten, groben Narrativen abweichen, wird es bei vielen vermeintlichen Experten schnell dünn mit der Logik hinter der kruden Verschwörungserzählung. So kann man ein Stück weit vorführen, dass die Verschwörungsfans eigentlich überhaupt nicht so genau wissen, wie das denn praktisch alles funktionieren soll, was sie vorher so selbstsicher erzählt haben.

Ein weiteres Rezept kann es sein, zu überzeichnen und ihnen vor Augen zu führen, wie absurd das alles ist („Sag mal, wo ist eigentlich der Bunker?“ – „Welcher Bunker?“ „Na der, von dem aus diese ,Plandemie’, von der du erzählst, gelenkt wird. So eine weltweite Verschwörung, die so perfekt organisiert ist, dass es außer dir und ein paar Auserwählten keiner merkt, und die Milliarden von Menschen auf der ganzen Welt in unterschiedlichsten politischen Systemen kontrolliert, braucht doch ein Hauptquartier. Da müssen doch Abertausende von Menschen arbeiten. Das muss ja riesig sein. Wieso hat das denn noch keiner entdeckt? Muss ja wohl irgendwo unter der Erde sein, oder?“).

Satire wird real: „Birds Aren’t Real“-Mitgründer Peter McIndoe im TV-Interview.

Parodie als elegante „Antiverschwörungserzählung“

Die Macher von „Birds aren’t real“ haben sich für eine weitere Variante entschieden: Die Parodie. Auch dadurch kann man Menschen vorführen, wie absurd so vieles ist, was da umhergeistert. Positiver Nebeneffekt: Sie sorgen dabei für Spaß und nehmen damit auch ein wenig Spannung aus der oft von Angst, Wut und Hass erfüllten Internetrealität. Sie zeigen dabei anschaulich, mit welchen einfachen Mitteln man Menschen verführen kann: Wenn das Ganze schön verpackt ist, ist der Inhalt für manche Menschen offenbar beinahe egal – solange es schön bequem in ihr Weltbild passt und sie das Ganze auch noch möglichst häufig von vermeintlichen Bekannten aus den sozialen Medien serviert bekommen.

Die „echten“ Verschwörungstheorien haben natürlich ein weniger harmloses Ziel. Meistens geht es darum, Zweifel zu sähen – oft an der Demokratie, an einem Staat. Bei Impfgegnern wie Andrew Wakefield, dem in Großbritannien wegen von ihm selbst gefälschten Studien zu Impfungen schon vor Jahren seine Approbation als Arzt entzogen wurde, ist es wohl irgendwann eine Art Selbstläufer von Lebenslüge geworden – vor allem aber ein großes Geschäft: Schließlich lebt er heute in einer millionenschweren Villa in Florida, die er offenbar durch seine Impflügen verdient hat. Hier mehr dazu:

Klar, es geht bei Birds Aren’t Real vielleicht auch ein wenig darum, ein paar Dollar zu verdienen: Im Shop der Internetseite kann man sich Shirts, Kapuzenpullis und anderes mehr bestellen – mit den passenden und ähnlich kryptischen Botschaften, wie sie etwa auch rechte Gruppen und Trump-Anhänger in den USA nutzen, um ihre verschwörerischen Botschaften loszuwerden, die dazu aufrufen, die Realität nicht wahrhaben zu müssen oder bewusst zu verdrehen.

Es ist ein Beispiel, das irgendwie Hoffnung macht. Denn einerseits sind es gerade viele junge „Digital Natives“, die mit dem Internet aufgewachsen sind und auf die Netzproganda hereinfallen. Andererseits entwickeln viele von ihnen auch ein Gespühr dafür, dass man vieles im Internet eben auch nicht für bare Münze nehmen muss. Und was man nicht ernst nimmt, kann man auch elegant ohne hitzige Debatten und „Shitstorm“ bekämpfen: mit Humor.

P. S.: Wie ist das eigentlich mit den Zugvögeln?

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