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Mehr als 2.000? KU-Fachtagung zu wohnungslosen Frauen in Ingolstadt

Weibliche Wohnungslosigkeit in Ingolstadt: Studie der KU gibt Handlungsempfehlungen

Ingolstadt. – Geringes Einkommen, steigende Mieten und Energiekosten – gerade alleinstehende und alleinerziehende Frauen sind aktuell noch einmal verstärkt von Wohnungslosigkeit bedroht. Doch diese Notlage tritt meist verdeckt ein. Nur selten sind obdachlose Frauen im Stadtbild sichtbar. Eine Studie der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) im Auftrag des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) Ingolstadt unterstreicht auch für die Stadt Ingolstadt eine solch hohe vermutete Dunkelziffer.

Dunkelfeld ein wenig gelüftet: Anja Assenbaum (Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Ingolstadt), Judit Bauer (SKF), Bürgermeisterin Petra Kleine, Professorin Annette Korntheuer, die Masterstudentinnen Veronika Chruszczyk und Eva Queitsch, Stephanie Watschöder (Wohnungslosennotfallhilfe Südbayern) und Ministerialrätin Susanna Schüssler (Bay. Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales) beim Fachtag zu Bedarfen von wohnungslosen Frauen in Ingolstadt. Foto: Schulte Strathaus

In einer Befragung von Experten verschiedener Träger berichten diese zwar von jährlich bis zu 400 Frauen, die sich als Wohnungslose beziehungsweise von Wohnungslosigkeit Bedrohte an sie wenden. Jedoch gehen die Befragten aufgrund verdeckter Wohnungslosigkeit von mehr als 2.000 Fällen aus. Und auch die Bedarfe von wohnungslosen Frauen unterscheiden sich – wie die Studie zeigt – grundlegend von denen obdachloser Männer.

Das Dunkelfeld ausleuchten, die Situation wohnungsloser Frauen in Ingolstadt wissenschaftlich fundiert betrachten und daraus konkrete Angebote für bedarfsgerechte Hilfen im Netzwerk entwickeln – diese Ziele hat ein Fachtag verfolgt, den die KU gemeinsam mit dem SkF der Stadt Ingolstadt und der Arbeitsgemeinschaft Wohnungsnotfallhilfe München und Oberbayern veranstaltet hat. Im Zentrum stand dabei eine Studie, die unter Leitung von Professorin Annette Korntheuer von der Fakultät für Soziale Arbeit der KU entstanden ist und auf einen bislang spärlichen Forschungsstand reagiert. Die Initiative für die vom Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales geförderte Untersuchung kam von einem Runden Tisch, der eine trägerübergreifende Zusammenarbeit für die Belange wohnungsloser Frauen forcieren will.

Als Grundlage dafür haben unter Leitung von Korntheuer die beiden Masterstudentinnen Veronika Chruszczyk und Eva Queitsch Experten interviewt, die sich in Ingolstadt bei verschiedenen Trägern sowie der Stadt um Frauen in Wohnungsnotfällen kümmern, sowie einige Betroffene befragt. Aus ihrer Beratungspraxis weiß Judit Bauer, Geschäftsführerin des SKF Ingolstadt: „Alleinerziehende und alleinstehende Frauen sind häufig in prekären Beschäftigungsverhältnissen tätig, mit denen sie steigende Mieten und Energiekosten nicht bestreiten können. Vielen gelingt es, zunächst bei Bekannten und Verwandten unterzukommen.

Drohende Abhängigkeit, sexuelle Ausbeutung und Gewalterfahrungen

Aber häufig geraten sie so in Abhängigkeiten, riskieren sexuelle Ausbeutung und Gewalterfahrungen – für sich und ihre Kinder.“ Während bei Männern häufig berufliche Schwierigkeiten Auslöser für Wohnungslosigkeit seien, seien Konflikte im sozialen Umfeld häufig Hintergrund für die Notlage von Frauen. Gerade Alleinerziehende scheuten davor zurück, bei akuter Wohnungslosigkeit Beratung in Anspruch zu nehmen aus der Befürchtung heraus, dass die Kinder in Obhut genommen würden, wenn keine Notunterkunft zur Verfügung stehe. Gleichzeitig könnten die befragten Fachkräfte häufig nicht adäquaten Wohnraum vermitteln.

„Vor diesem Hintergrund ist eine vorrangige Handlungsempfehlung unserer Studie, den Ansatz von Housing First im System der Ingolstädter Wohnungslosenhilfe zu etablieren, um so dem Bedarf nach Wohn- und Schutzraum von Frauen nachzukommen“, betont Korntheuer. Dies sei auch erforderlich, da etwa die Ingolstädter Notunterkunft „Franziskanerwasser“ laut den Befragten derzeit auf Männer ausgerichtet sei und keine Rückzugsmöglichkeiten für Frauen und Kinder biete, da dort grundsätzlich keine Minderjährigen untergebracht würden. „Das Franziskanerwasser ist keine Option für diese Frauen“, so eine Expertin auf dem Podium der Veranstaltung. Das Konzept von Housing First verfolgt die Idee, dass gerade eine bedingungslos vermittelte Wohnung ein Ausgangspunkt dafür ist, um anschließend weitere Maßnahmen zu ergreifen, die das Leben der Klientinnen stabilisieren. Voraussetzung für diesen Ansatz sei wiederum die ausreichende Verfügbarkeit von Mietwohnungen.

Zudem empfehlen die Forscherinnen, neue Angebote insbesondere für Frauen aller Altersklassen und mit Migrationserfahrung zu entwickeln, weil sie überdurchschnittlich häufig zur Klientel gehören. Darüber hinaus äußern die befragten Experten den dringenden Bedarf, die an der Wohnungslosigkeit beteiligten Institutionen in Ingolstadt stärker miteinander zu vernetzen, um Bedarfe sichtbar zu machen und Expertise und Ressourcen zu bündeln. Aber auch der Informationsfluss an die Betroffenen müsse verbessert werden: „Insbesondere in den Interviews mit den betroffenen Frauen zeigte sich, dass diese die meisten Unterstützungsmöglichkeiten, die Ingolstadt bietet, nicht kennen“, betont Korntheuer. In diesem Zusammenhang wurde von einer Befragten vorgeschlagen, ein „Haus der Frau“ zu etablieren, das nicht nur eine geschlechtsspezifische Notunterbringung ermöglicht, sondern auch als Anlaufpunkt für Beratung und Betreuung fungieren könne.

Frauenanteil bei 37 Prozent

Die Teilnehmenden des Fachtages an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät Ingolstadt der KU von Sozialverwaltung bis hin zu caritativen Einrichtungen nahmen die Ergebnisse der Studie zum Anlass, um diese in weiteren Workshops zu vertiefen. Stephanie Watschöder, Fachreferentin der Arbeitsgemeinschaft Wohnungsnotfallhilfe München und Oberbayern, führte in Ihrem Vortrag aus, dass mit den Ergebnissen der erstmals durchgeführten Bundeswohnungslosenstatistik die Zahlen von wohnungslosen Frauen bei 37 Prozent lägen, bislang ging man von etwa 25 Prozent Frauenanteil aus.

In der Wohnungsnotfallhilfe gebe es nur an wenigen Orten frauenspezifische Einrichtungen, die Kapazitäten reichten bei Weitem nicht aus. Gemischtgeschlechtliche Gemeinschaftsunterkünfte stellten insbesondere für gewaltbetroffene wohnungslose Frauen eine nicht akzeptierbare Hürde dar. Der Aufbau eines wie vom SKF geplanten Beratungscafés für Frauen, bestenfalls mit integriertem aufsuchendem Charakter, wäre eine sinnvolle Bereicherung in Ingolstadt.

„Uns freut es, dass sich auch die Vertreterinnen und Vertreter aus der Kommunalpolitik – wie etwa Bürgermeisterin Petra Kleine – bei der Veranstaltung so offen für diese Thematik gezeigt haben. Wir sind deshalb zuversichtlich, dass die Diskussion zu konkreten Hilfen für wohnungslose Frauen auch auf politischer Ebene weitergeführt werden wird“, resümieren Professorin Annette Korntheuer und Judit Bauer vom SKF als Veranstalterinnen.

Quelle
upd
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