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„Wo ist der Rest?“: Bayerische Digitalministerin Judith Gerlach zu Gast in Eichstätt

Erste Ministerin für Digitalisierung spricht vor Eichstätter Wirtschaftsjunioren und will „dicke Bretter bohren“

Eichstätt. – Jünger, weiblicher, digitaler – als Judith Gerlach vor vier Jahren auch für sie selbst überraschend das neu gegründete, erste Digitalministerium in Deutschland überhaupt übernommen hat, passte sie schon voll ins Profil des neuen Kabinetts Söder. „Digitalisierung? Nicht mein Spezialgebiet“, soll sie damals allerdings gesagt haben, als sie mit 33 erste Digitalministerin in Bayern und auch in der gesamten Bundesrepublik wurde – keine einfacher Job, in einem Land in dem vieles in ihrem neuen Fachbereich noch nicht so funktioniert, wie man sich das nach dem eigenen Selbstverständnis als führende Wirtschafts- und Technologienation vorstellt. Davon berichtete die junge Vorkämpferin in Sachen Digitalisierung gestern Abend bei einem Besuch im Eichstätter Co-Workingspace Oaktown Office auf Einladung der Eichstätter Wirtschaftsjunioren – und damit dem passenden Ort. Schließlich war auch ihr Ministerium am Anfang selbst so ein wenig ein Start-up.

„Wo ist der Rest?“, fragte Judith Gerlach, als sie damals, vor vier Jahren, ihr Amt antrat und außer einem altehrwürdigem Schreibtisch und passenden gepolsterten Stühlen so gut wie nichts vorfand. Die Männer, denen sie damals die Frage gestellt hat, hätten sie verdutzt angesehen und gefragt, was sie denn meine. „Nicht mal wir gehören zu Ihnen“, hätten sie dann gesagt – so erzählte Judith Gerlach gestern noch einmal jene Anekdote, auf die sie im Laufe ihrer vier Jahre als Digitalministerin von Medienvertretern schon das eine oder andere Mal angesprochen worden war – so auch gestern Abend von David Capriati, dem Kreisvorsitzenden der Wirtschaftsjunioren.

Viele Fragen zum Thema Digitalisierung gab es nach dem Vortrag der Ministerin.

Die hatten nach einem lebhaften Austausch mit dem bayerischen Finanzminister Albert Füracker im Sommer nun auch dessen Kabinettskollegin Gerlach eingeladen – auch mit Unterstützung der Eichstätter Landtagsabgeordneten Tanja Schorer-Dremel, die als stellvertretende Generalsekretärin der CSU einen guten Draht zu ihren Parteikollegen hat. Und so musste die Digitalministerin, wie so oft in ihrer vierjährigen Amtszeit, auch gestern erklären, wo und vor allem warum es denn immer noch derart hake in diesem so wichtigen Bereich.

Rund 120 Millionen und eine Querschnittsfach

Es gebe viele Probleme und auch viele „dicke, dicke Bretter zu bohren“, stellte Gerlach erfrischend offen auch gestern immer wieder klar. „Veränderung tut weh“, sagte sie im Hinblick auf die vielen Veränderungsprozesse, die sich hinter jenem allgegenwärtigen Trendbegriff verbergen: Digitalisierung. Das beginne bereits bei der Infrastruktur, dem Breitbandausbau und den Mobilfunkmasten, gegen deren Aufstellen sich ja auch immer wieder Proteste und Bürgerinitiativen bildeten. Umgekehrt werde sie permanent darauf angesprochen, warum man da noch nicht weiter sei. Dabei ist sie dafür gar nicht zuständig – denn dieser Bereich fällt in das Wirtschaftsressort. Die Digitalisierung der Schulen, die in der Coronapandemie ein so großes Thema war, ist dagegen Aufgabe des Kultusministeriums.

118,7 Millionen beträgt der Etat ihres Digitalministeriums für 2022 – nicht gerade viel, angesichts einer Aufgabe, die allein in Sachen digitaler Infrastruktur Milliarden verschlingt. Aber sie ist auch nicht alleine: Digitalisierung ist eine Art Querschnittsfach, wie man in der Schule vielleicht sagen würde: eine Universalaufgabe, die in fast allen Ressorts eine Rolle spielt. Die Coronapandemie habe hier auch gezeigt, dass man aufhören müsse mit diesem „Silodenken“, dass es stattdessen mehr Zusammenarbeit und Vernetzung brauche – technisch, wie auch persönlich. Und darin sieht sie auch in erster Linie ihre Aufgabe, wie sie gestern beim Unternehmergespräch im Oaktown Office auch betonte: Projekte anstoßen und unterstützen, Ansprechpartnerin sein, Dinge vorantreiben und vor allem: „Überzeugungsarbeit“.

Kein „Ampel-Bashing“, aber heftige Kritik an Berlin

Denn das Thema laufe derzeit an vielen Stellen mit, aber es gebe zu wenig Verantwortlichkeiten und politische Durchsetzungskraft. Sie wolle kein „Ampel-Bashing“ betreiben, so die 37-jährige digitale Vorkämpferin aus Bayern, aber es gebe beim Bund immer noch keinen richtigen Ansprechpartner, und auch auf Länderebene sei es oft schwierig. Beides sei aber wichtig. Denn einerseits werde heute Digitalpolitik in Europa gemacht und da müsse Deutschland als Schwergewicht eine starke Stimme haben. Andererseits habe die Coronapandemie schonungslos offengelegt, dass es eben auch an anderer Stelle hake: bei den Schnittstellen.

Wer eine echte, digitale Verwaltung für die Bürger und die Unternehmen wolle, der müsse nicht nur einfach digitale Eingabemasken erstellen, sondern auch die Prozesse, also die Abläufe digital denken – und zwar vom Bürger her, fordert sie. Dazu gehöre auch, dass Behörden Daten austauschen können müssten und dem Bürger zum Beispiel somit zum Beispiel bereits weitgehend ausgefüllte digitale Formulare bieten könnten – und eben nicht wie beim Zensus dann die erhobenen Daten wieder einzeln abtippen müssten. Wohngeld- oder Bauanträge, oder die Errichtung von Windkraftanlagen und vieles mehr – all das könne und müsse in Deutschland in Zukunft schneller gehen, fordert Gerlach – und zwar auch durch Digitalisierung. Denn die könne dabei helfen, Dinge zu beschleunigen. Allerdings nur dann, wenn eben auch die Rahmenbedingungen und die Prozesse darauf abgestimmt seien. Hier liege die Verantwortung aber auch bei den über 2.000 Kommunen in Bayern, die die entsprechenden Software-Angebote, die der Freistaat mache, auch nutzen müssten.

Daten an Google, „Stuhlkreis“ in Deutschland

Auch die Bürger müssten mitspielen. Denn die gäben ihre Daten heute lieber bereitwillig Google und den großen Internetkonzernen hinter den sozialen Medien oder in der Coronazeit lieber der privaten Luca-App, als dem Staat oder der eigens in dessen Auftrag unter hohen Datenschutzauflagen dafür entwickelten Corona-Warn-App. Wenn die Verwaltung moderner werden solle, müsse sich auch hier etwas ändern – selbstverständlich unter Wahrung aller Datenschutzansprüche, die sie auch für Europa als große Chance sieht. Das könne sogar für zusätzliche Transparenz sorgen, in dem der Bürger genau sehe, welche Behörde im Rahmen ihrer Befugnisse auf welche Daten zugreifen könne. Sie sei ein „großer Fan“ der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), und die EU mache hier vieles richtig, so Gerlach.

Aber auch hier hinkt Deutschland aus ihrer Sicht manchmal hinterher: Sie habe etwa auf Bundesebene das Unternehmerkonto auf Elsterbasis vorgeschlagen, um schnell eine Plattform zu haben, um besser mit den Unternehmen digital zu kommunizieren. Aber in Deutschland mache man dann immer gerne erst einmal „fünf Jahre lang einen Stuhlkreis“, um die beste Lösung zu finden, statt schnell nach praktikablen Umsetzungsmöglichkeiten zu suchen und sie nachher im Einsatz weiter zu optimieren.

Zukunftstechnologien und Cybersicherheit als Herausforderung

Auch wenn Judith Gerlach sich auch häufig öffentlich rechtfertigen und gegen Kritik wehren muss – sie sieht bei allen Problemen in Bayern wie auch in Deutschland vieles auf dem richtigen Weg. In Eichstätt bekam sie für ihre offenen Worte gestern von den rund 40 Gästen im gut gefüllten Oaktown Office viel Zuspruch und lud die Unternehmer auch ein, sich zu beteiligen und Anregungen zu geben. Man habe mehrere Programme wie „Online  – fertig – los!“ aufgelegt, um vor allem den kleineren Unternehmen unter die Arme zu greifen. Zudem fördere man in Bayern ganz gezielt digitale Zukunftstechnologien wie das Quantencomputing – hier sei man eben noch nicht abgehängt, sondern habe die Chance, vorne dabei zu sein. Oder den Aufbau eines eigenen neuen Satellitennetzes, wie es in Europa gerade geplant werde, um die strategische Unabhängigkeit im digitalen Bereich gegenüber anderen Staaten, aber auch wankelmütigen Unternehmern wie Elon Musk zu bewahren.

Mit Blick auf eine Frage aus dem Publikum zum Schutz der Infrastruktur wie etwa den vor Kurzem gekappten Glasfaserkabeln bei Manching, glaubt Gerlach, dass es unmöglich sei, sich flächendeckend vor solchen Einzelfällen zu schützen. Aber die größte Herausforderung sieht sie ohnehin in einem anderen Bereich: der Cybersicherheit. Man beobachte jetzt schon jeden Tag unentwegt, massive Angriffe auf Unternehmen und staatliche Einrichtungen. Das werde noch weit mehr werden, so Gerlach gestern mit besorgter Miene. Ansonsten aber gab sie sich eher optimistisch, forsch und frech, wie man wohl auch auftreten muss, wenn man mit dem noch recht jungen Start-up-Ministerium etwas bewegen will.

Cybersecurity fällt übrigens schon wieder in ein anderes Ressort, nämlich das Innenministerium. Wie gesagt: Digitalisierung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe – aber immerhin gibt es nun in Bayern eine koordinierende Ansprechpartnerin und Vorkämpferin dafür. In ihrem Start-up-Ministerium arbeiten inzwischen bereits nach offiziellen Angaben rund 150 Leute – im Gegensatz zur damaligen Staatsministerin Dorothee Bär im letzten Kabinett Merkel, die immer wieder belächelt worden war. Die aber habe eben kein eigenes Ministerium mit entsprechendem Budget gehabt, sei aber eine wichtige Botschafterin für das Thema gewesen, verteidigte sie ihre Parteikollegin. Doch auch nach vier Jahren im neuen Ministerium könnte Judith Gerlach in Sachen Digitalisierung auch immer noch regelmäßig fragen: „Wo ist der Rest?“

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