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(R)Evolution von unten: Auch Landkreis Eichstätt wird jetzt „Gesundheitsregion plus“

Eichstätt. – Es war nur der Auftakt, aber einer, der offenbar gut ankommt: Der Landkreis Eichstätt wird jetzt auch zur „Gesundheitsregion plus“ – als 78. von 92 Landkreisen und kreisfreien Städten in Bayern, die in ingesamt 61 solchen „Gesundheitsregionen plus“ organisiert sind. Das Ziel ist immer dasselbe: Mehr Vernetzung, bessere Gesundheit und Pflege – und die Akteure näher zusammenbringen. Denn die Probleme sind vielfältig – und am Ende bei aller Konkurrenz und unterschiedlichen Interessen auch nur gemeinsam zu lösen.

Gemeinsam wollen die Akteure der „Gesundheitsregion plus“ mehr erreichen. Fotos. Zengerle

Es sei sehr erfreulich und schon fast überraschend, dass so gut wie alle eingeladenen Institutionen auch tatsächlich gekommen seien, so Landrat Alexander Anetsberger und Regina Lindl, die Leiterin des Gesundheitsamtes des Landkreises Eichstätt in ihrer Begrüßung. Im Sitzungssaal des Landratsamtes hatte sich da tatsächlich ein großer Teil dessen versammelt, was die Gesundheitsversorgung im Landkreis ausmacht: Geschäftsführer der Kliniken im Naturpark Altmühltal und der privaten Vamed-Klinik in Kipfenberg, Vertreter der Krankenkassen, des Ärztlichen Kreisverbandes, der Apothekerkammer, des BRK und der Malteser, aus den Bereichen der Pflege und der Suchtberatung, der Sozial- und Patientenverbände, einer Suchtberatungsstelle und auch zwei Vertreter der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU), die sich in ihrer Stiftungsprofessur Pflegewissenschaften ebenfalls dem Thema widmet. Schon beim Blick in den Sitzungssaal im Landratsamt wurde schnell deutlich, wie viele verschiedene Akteure allein auf dieser regionalen Ebene zusammenspielen müssen, damit Gesundheitsversorgung für alle Bürger funktioniert.

Im Rahmen der Vorstellungsrunde wurde dabei aber gleichzeitig auch klar, dass sich eben viele natürlich noch nicht persönlich kannten. Und genau darum geht es bei dem ganzen Thema: Man will enger zusammenrücken und die vorhandenen Probleme gemeinsam angehen. Schnell kamen bei der „Kickoff-Veranstaltung gestern auch Vorschläge für weitere Teilnehmer – die Vertreter der Notärzte etwa, so ein Vorschlag. Sie seien auch ein Beispiel dafür, dass es natürlich längst vernetzte Strukturen und enge Zusammenarbeit in der medizinischen Region gebe: Schließlich arbeiten die Ärzte im Rettungsdienst seit Jahren über die Landkreisgrenzen hinaus zusammen: Der Notdienst gehe „von Schrobenhausen bis Titting“, so Bernhard Mödl, stellvertretender Leiter des Ärztlichen Kreisverbands Ingolstadt-Eichstätt.

Das neue Gesundheitsnetzwerk stehe zudem weiteren Interessenten offen, so Anetsberger und Lindl. Schließlich soll es um nichts anderes als eine möglichst gute und gut vernetzte Gesundheitsversorgung im Landkreis gehen. Es soll nicht nur ein Papiertiger und weitere Ansammlung von Gremien und Arbeitskreisen sein, sondern das Leben der Menschen im Landkreis verbessern – und ihre Gesundheit.

Der Anfang ist gemacht: Nach der Auftaktveranstaltung gibt es aber noch viel zu tun, bis das Gesundheitsnetzwerk Fahrt aufnehmen wird.

In den Landkreisgrenzen und darüber hinaus

„Mir ist wichtig, die Akteure aus dem Bereich von Gesundheit und Pflege vor Ort zu vernetzen. Denn sie kennen die Situation in der Region am besten und wissen, was die Menschen brauchen“, so beschreibt der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek die Motive hinter dem Programm. „So können wir alle gemeinsam die Gesundheitsvorsorge, medizinische Versorgung und Pflege nachhaltig verbessern.“ Das jedenfalls ist auch im Landkreis Eichstätt die Hoffnung. Man habe sich schon länger mit dem Gedanken getragen, den entsprechenden Antrag zu stellen, so Anetsberger gestern.

Schließlich habe man sich im Zuge der Agenda 2030 ja schon in den letzten zwei Jahren intensiv mit einer Neuaufstellung der Krankenhausversorgung, aber auch der gesamten Gesundheitsverorgung im Landkreis, aber auch der Region beschäftigt. Erst im April hatte der Eichstätter Kreistag in einem Grundsatzbeschluss entschieden, dass die Klinik in Eichstätt als Akutstandort erhalten, die Klinik in Kösching dagegen als umfassendes Gesundheitszentrum neu aufgestellt werden soll. Die Details sollen hier noch abgestimmt werden – und zwar auch hier im Schulterschluss und nach Abstimmung mit dem Klinikum Ingolstadt als zentralem Schwerpunktkrankenhaus und den anderen Institutionen der Gesundheitsversorgung in der gesamten Region aus Ingolstadt und den umliegenden Landkreisen. Auch hier war bereits von einer „Gesundheitsregion 10“ die Rede.

Im Umbau befinden sich nicht nur im Zuge der Generalsanierung der Klinik Eichstätt die landkreiseigenen Kliniken im Naturpark Altmühltal in Eichstätt und Kösching. Sie sollen Teil einer regional abgestimmten medizinischen Landschaft werden – und wichtige Pfeiler in der Gesundheitsregion plus“. Fotos: Zengerle

Jetzt kommt also aus dem Förderprogramm des Freistaats nach dessen Vorgaben die formal auf die Landkreisgrenzen fokussierte „Gesundheitsregion plus“ hinzu, die aber ebenfalls bereits vor dem Start über die Grenzen hinausblicken dürfte – das wurde bereits zum Start klar. Man habe sich im Vorfeld bereits mit den schon vorher gegründeten „Gesundheitsregionen plus“ in Ingolstadt und Pfaffenhofen Kontakt abgestimmt. Diese hätten ihre Unterstützung beim Aufbau des Eichstätter Pendants zugesagt. Und auch sonst ist der Landkreis bereits von solchen Gesundheitsnetzwerken umgeben: Lindls Stellvertreter Johannes Rank war zuvor im Landkreis Weißenburg tätig, der ebenfalls bereits „Gesundheitsregion plus Altmühlfranken“ ist. Er werde seine Erfahrung dort auch hier einbringen so Rank.

Mit der entsprechenden Förderung von jährlich bis zu 50.000 Euro für fünf Jahre vom Freistaat wird dafür zunächst vor allem die Stelle eines Geschäftsführers geschaffen, der sich um die Koordinierung der gemeinsamen Aktivitäten kümmern wird. Kernstück der Gesundheitsregion plus, deren Vorsitz der Landrat hat, soll zudem das Gesundheitsforum als zentrales Management- und Steuerinstrument werden, erklärt Lindl. Es soll sich aus Vertretern der wichtigsten regionalen Akteure des Gesundheitswesens zusammensetzen und die relevanten Themen beschließen, die man dann gemeinsam bearbeiten möchte. Zudem soll es Arbeitskreise zu den drei großen Arbeitsfeldern geben, in denen man das Vorgehen in den „Gesundheitsregionen“ voranbringen will: Gesundheitsförderung und Prävention einerseits, der Gesundheitsförderung als zweitem und der Pflege als drittem wichtigen Schwerpunkt.

„Das Gesundheitssystem leckt an allen Ecken und Enden“

In diesen Bereichen sollen die vielfältigen Probleme und Lösungsansätze gegliedert werden. Denn das Gesundheitssystem sehe sich mit einem enormen Spektrum an mannigfaltigen Herausforderungen konfrontiert, so Lindl: „Es gibt hunderte Probleme. Das Gesundheitssystem leckt an allen Ecken und Enden“, so die Amtsleiterin, die selbst Ärztin ist. Man müsse die Probleme gemeinsam angehen, sonst drohe das Ganze zusammenzubrechen – jedenfalls nach den heutigen Maßstäben und Ansprüchen der Bevölkerung.

Viele dieser Probleme seien zudem sektorübergreifend vorhanden: etwa der demografische Wandel mit einer alternden Bevölkerung und einer wachsenden Zahl an chronisch kranken oder „multimorbiden“, also oft von mehreren Krankheiten gleichzeitig betroffenen Patienten. Dazu kämen etwa der Kostendruck, die gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen und vor allem der Fachkräftemangel, der nicht nur die Pflege, sondern alle Bereiche des Gesundheitswesens nicht nur in der Region betreffe.

„Hunderte Probleme“ sieht Gesundheitsamtsleiterin Regina Lindl – hier mit Landrat Alexander Anetsberger (links) und ihrem Stellvertreter Johannes Rank – im Gesundheitssystem. Umso wichtiger sei, sie gemeinsam zu lösen.

„Genau der richtige Schritt zur richtigen Zeit“

Aber eben auch hier. Der Ärztenmangel in Kliniken, aber auch auf dem Land drohe, größer zu werden. Und so müsse man gemeinsam Lösungen und neue Wege finden. Wenn man in Deutschland aktuell schon aufgrund der hohen Zugangsvoraussetzungen und der beschränkten Studienplätze nicht genügend Ärzte ausbilden könne, könne man zum Beispiel als Region eine internationale Zusammenarbeit mit medizinischen Fakultäten guter Universitäten im Ausland eingehen, so Lintl – auch als Region. Das Klinikum Ingolstadt hatte bereits vor vielen Jahren beispielsweise eine Kooperation mit der Universität in Oradea in Rumänien eingegangen, und auch an den anderen Kliniken und Gesundheitseinrichtungen in der Region muss man sich im Ausland umsehen. Die Vamed-Kliniken in Kipfenberg etwa hatten in einem Pilotprojekt bereits Pflegekräfte aus Brasilien nach Deutschland geholt. An anderer Stelle helfen sich konkurrierende Pflegeeinrichtungen aus, indem sie gemeinsam flexible Pflegepools bilden oder gemeinsam auf Jobbörsen werben.

Vieles sei denkbar, könne aber nicht von oben bestimmt werden, sondern lebe davon, dass die beteiligten Akteure möglichst viel Rückmeldungen, Wünsche und Ideen einbrächten. Die grundsätzliche Bereitschaft dafür schien gestern zum Auftakt vorhanden: „Gesundheit zusammen zu denken, ist genau der richtige Schritt zur richtigen Zeit“, so etwa Marco Fürsich, der Geschäftsführer der Kliniken im Naturpark Altmühltal, die selbst einerseits gerade mitten in der Generalsanierung und damit im Umbau stecken, aber sich durch die anstehende Umstrukturierung und immer mehr regionale Zusammenarbeit auch inhaltlich in einem Wandlungsprozess befinden. Beispielsweise sind nicht nur in Kösching, sondern auch anderswo im Landkreis Medizinische Versorgungszentren geplant, die auch die ärztliche Versorgung der Bevölkerung für die Zukunft auf hohem Niveau sichern sollen.

(R)Evolution und pragmatische Lösungen von unten?

Viele Elemente und Stellschrauben also in einem komplexen System, das in der neuen Gesundheitsregion plus näher zusammenwachsen soll. Denn Reformbedarf und Probleme gibt es im deutschen Gesundheitssystem viele. All das zu lösen, erscheint seit vielen Jahren beinahe wie der Versuch, den gordischen Knoten zu zerschlagen – nämlich fast unmöglich. Und so könnte die Revolution nun auch ein Stück weit von unten beginnen: Indem die vielen verschiedenen Akteure, die bisweilen auf nationaler Ebene als Gegner auftreten, im Alltag aber permanent zusammenarbeiten müssen und das vor Ort oft auch gerne tun – eben auch noch näher zusammenrücken. Der Frust über das Gesundheitssystem mit seinen verkrusteten Strukturen eint viele von ihnen schon einmal. Das Ziel: weniger Sorgenfalten für alle Beteiligten und eine besser aufgestellte Gesundheitsregion – eine, wo das „plus“ nicht nur draufsteht, sondern auch gelebt wird.

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