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Statement „gegen rechts“: Rund 900 Teilnehmer demonstrieren in Eichstätt für Demokratie

Zwischenstopp mit Kundgebung an der Abschiebehaftanstalt

Eichstätt. – Es war sicher eine der größten Demonstrationen in Eichstätt in den letzten Jahren. Rund 900 Menschen haben sich nach Polizeiangaben heute Abend zusammengefunden, um gemäß dem Motto  „GemEInsam gegen rechts“ zu demonstrieren – sicher politisch nicht alle einer Meinung, aber mit mindestens einem kleinen gemeinsamen Nenner: dem Glauben an Demokratie und Grundgesetz.

Statement für die Demokratie: Bereits zu Beginn der Kundgebung mit Moderator Andreas Kohout (oben rechts) und Frederick Haas (oben links) war der Marktplatz in Eichstätt gut gefüllt. Beim anschließenden Zug durch die Innenstadt marschierten laut Polizei rund 900 Menschen mit. Fotos: Zengerle

Und genau das sprechen viele der AfD inzwischen ab. Nicht nur, dass der Verfassungsschutz mehrere Teile der Partei beobachtet oder bereits als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft hat – etwa die Landesverbände in Sachsen, Sachsen-Anhalt und in Thüringen, wo Björn Höcke in diesem Jahr nach aktuellen Umfragen trotz allem als Wahlsieger der Landtagswahl hervorgehen könnte. Auch die Pläne rechtsextremer Kreise in einem Geheimtreffen zur „Remigration“ von Millionen von Deutschen, die offenbar manche in der Partei auf der Linie Höckes teilen und die das Recherchenetzwerk Correctiv enthüllt hatte, haben viele Menschen erschreckt und aufgeschreckt – so auch Moderator Andreas Kohout von der mitausrichtenden Organisation Fridays For Future, wie er bei der Kundgebung am heutigen Abend auf der Bühne sagte. Die Demokratie dürfe nicht schweigend untergehen. Viel zu oft würden menschenfeindliche Aussagen an Stammtischen und anderswo verharmlost und einfach so hingenommen.

„Aber Schweigen ist heimliche Zustimmung“, so Kohout. Und so schwieg man eben nicht an diesem Donnerstagabend, sondern wurde oft richtig laut: „Alle zusammen gegen den Faschismus“ – diese Parole wurde immer wieder laut gerufen. Aber auch bisweilen in linksradikalen Kreisen skandierte Parolen wie „Alerta, alerta antifascista“, die ihren Ursprung in der linken Gegenbewegung zum damaligen italienischen Diktator Mussolini in den 1920er-Jahren haben und auch in der Partisanenbewegung in der Zeit der Nationalsozialisten skandiert wurden, brandeten immer wieder auf – heute sind sie auch Schlachtrufe der linksradikalen Szene. Aus Sicht einer breiten Demokratiebewegung war das heute Abend wohl auch der Wermutstropfen: Alle Parteien seien eingeladen gewesen, aber hatten eben auch nicht alle zugesagt – dennoch waren im Publikum zahlreiche Vertreter verschiedener politischer Couleur zugegen und eben kein rein linksradikales Publikum – wie es die AfD immer wieder behauptet.

„Ganz Eichstätt hasst die AfD“ und die Deutschlandfahne

„Ganz Eichstätt hasst die AfD“ – bei diesem dann in seiner Anmaßung und seinem feindlichen Ton durchaus fragwürdigen Schlachtruf, wurde es dann einer Frau offensichtlich zu viel. Sie stürmte die Bühne vor der Metzgerei Schneider auf dem Marktplatz und tat lautstark ihren Unmut kund. Das stimme so einfach nicht, sagte sie, um dann noch einige wütende Worte hinterherzurufen. Nach einem kurzen verbalen Schlagabtausch war das aber auch schnell wieder erledigt – auch wenn einige Meter entfernt eine Handvoll Menschen an einer Hauswand eine Deutschlandfahne aufgehängt hatte und offensichtlich ebenfalls Präsenz für andere Botschaften zeigen wollte. Den Hass gibt es natürlich im Internet und in den sozialen Medien ganz besonders von rechten Hetzern, wie Studien immer wieder zeigen. „Hä, du hast es wohl immer noch nicht verstanden?“, das sei eine der harmlosen Nachrichten, die er in den sozialen Medien immer wieder bekomme, erzählte Kohout. Gemeinsam schickte der gesamte Marktplatz auf seinem Handy laut rufend eine Sprachnachricht zurück: „Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda“.

Viel Applaus erhielt Eva Chloupek für ihre einenden Worte und ihren Appell gegen Hass und für Menschenwürde und Grundgesetz auf dem Marktplatz.

An diesem Abend gehörte der Marktplatz ganz klar den Verfechtern der Demokratie – auch wenn eher einem eher linken Spektrum: Weil die linksgerichtete „Antifa“ gemeinsam mit „Fridays For Future“ und anderen geladen hatten – das allerdings, weil niemand sonst bis dahin auf die Idee gekommen war, wie sie gegenüber Ei-live verwundert mitteilten –, waren zwar alle demokratischen Parteien eingeladen, aber nicht alle wollten offiziell teilnehmen oder gar reden. Allerdings erklärte Oberbürgermeister Josef Grienberger (CSU) gegenüber Ei-live, dass seine Partei offenbar nicht offiziell eingeladen gewesen sei und auch im Rathaus offenbar keine Einladung eingegangen sei. Dennoch war auch er, wie auch unter anderem der SPD-Fraktionsvorsitzende Christian Alberter oder FDP-Vertreter Thomas Schön vor Ort und zeigten Präsenz – ehe manche ohnehin dann in die parallel stattfindende Stadtratssitzung mussten.

Vebindendes und Trennendes

Und so mussten manche, die nur der Demokratiebewegung zuliebe gekommen waren, auch die eine oder andere parteipolitische Kröte schlucken – Kritik an anderen Parteien wie der CSU, den Freien Wählern oder der FDP, die sich mit ihren Aussagen und ihrer Politik nicht genug abgrenzten, sondern durch ihren Versuch, rechte Wähler einzufangen „zum Rechtsruck beitragen“, wie unter anderem Kohout sagte. Auch Sarah Eichberg von der Linken und Hanna Rautenberg sowie Thomas Maget als die beiden Sprecher des Ortsverbands der Grünen kritisierten das. Eine Sprecherin des Bündnisses „It’s Just Feminism“ wies auf die Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten hin, die es bereits heute auch gegenüber Frauen und Minderheiten gebe, und Frederick Haas vom Offenen Antifaschistischen Treffen (OAT) gab zu bedenken, dass auch im Namen des Staates oft eher konservative Kreise geschützt würden, während etwa die linke Bewegung und die Antifa regelmäßig mit Hausdurchsuchungen und Beobachtung durch einen übergriffigen Staat konfrontiert sei – so sein Vorwurf.

Bei allem Trennenden, das sicher nicht immer alle Anwesenden teilen konnten – im Mittelpunkt standen dennoch immer die zentralen Anliegen, die die mehreren hundert Teilnehmer auf den Marktplatz geführt hatten: die Sorge um eine Demokratie, die ebenso wie inzwischen auch das Grundgesetz immer offener angegriffen werde und bedroht sei. Und natürlich dem Schutz der Menschenrechte, der Vielfalt und eines positiven Menschenbildes – ganz gleich, welcher Herkunft und ganz gleich „wie nützlich jemand gerade für den Staat ist“, so die Journalistin und PR-Beraterin Eva Chloupek.

Einer der größten Demonstrationszüge der letzten Jahre zog durch die Eichstätter Innenstadt – hier über den Residenzplatz.

Für ihre beeindruckend klare, aber auch emotionale Rede bekam die ehemalige Eichstätter Redaktionsleiterin des Eichstätter Kurier, die als Privatperson ebenfalls an das Mikrofon getreten war, besonders viel Applaus – und machte besonders deutlich, dass es bei aller Meinungsvielfalt in einer Demokratie jenes unabdingbare Bekenntnis zu einer gemeinsamen Wertebasis auch geben muss: dass es hier eben nicht so sehr um das Trennende und parteipolitische Positionen gehe, sondern um etwas viel Größeres – nämlich die Demokratie und das Grundgesetz. Ganz besonders um den Artikel 1 – nicht nur mit seiner klaren Botschaft der unantastbaren Menschenwürde eines jeden Einzelnen, sondern auch mit der Verpflichtung, sich als Bürger auch dafür und für die freiheitliche Grundordnung einzusetzen.

Kritik am „Ball der Landwirtschaft“

Dass beim Ball der Landwirtschaft  in Ingolstadt vor wenigen Tagen der AfD-Vertreter noch mit Applaus begrüßt worden sei, während die Gaimersheimer Bürgermeisterin Andrea Mickel als hochanständige Frau und Politikerin ausgeladen worden sei, weil sie SPD-Politikerin sei, sei mehr als bedenklich und ein völlig falsches Signal. Auch ihr SPD-Parteikollege Sven John war dabei übrigens ausgeladen worden, obwohl er nicht für seine Partei, sondern in seiner Funktion als stellvertretender Landrat teilnehmen hätte sollen. So etwas passe nicht zum demokratischen Grundverständnis, stellte Chloupek klar. Die rechten Hetzer täten oft so, als seien sie die Mitte der Gesellschaft. „Wer nicht zu dieser Mitte gehört, sind Rassisten, Hetzer und Spalter und Rechtsradikale, die unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung stürzen wollen und sich dabei ,das deutsche Volk’ nennen“, sagte sie. „Sie drohen unseren Nachbarn, Freunden, Kollegen – allen, die nicht ,biodeutsch’ sind, allen die nicht in ihr rassistisch-völkisches Weltbild passen – ernsthaft mit Deportation. Solche Pläne machen mich fassungslos.“ In diesem Sinne „sind wir alle hier heute Antifaschisten.“

„Zwischenstopp“: Zu einer Kundgebung gegen Abschiebung und Asylrechtsverschärfung versammelte sich der Demonstrationszug am Bahnhofsplatz – begleitet von einer Nebendemonstration gegen die Abschiebung eines in der Abschiebehaftanstalt dort inhaftierten Kurden (siehe kleines Foto unten).

Und so hatte es einerseits für die Teilnehmer etwas Ermutigendes, für den einen oder anderen Teilnehmer aber auch fast schon etwas Unheimliches, anschließend durch die Straßen zu ziehen und für die Demokratie zu demonstrieren. „Ist es denn schon so weit, dass das nötig ist?“, fragte sich so mancher Teilnehmer. Kommt es zu einer Spaltung, zu einem Kulturkampf wie in den USA, wo Donald Trump und Hass und Hetze und Indoktrination vor allem in den sozialen Medien schon viel weiter zu sein scheinen und jene große, alte Demokratie selbst nach der Stürmung des Kapitols als Warnung in einem unversöhnlichen Chaos und einem dauerhaften Zustand des Kulturkampfes erschüttern?

Zwischenstopp an der Abschiebehaftanstalt

Es ist schwierig, und Realitäten in den aufgeregten modernen Zeiten komplex. Und so wusste mancher Teilnehmer der Demonstration auch bei einer Zwischenstation des Demonstrationszuges nicht so ganz, wie er damit umgehen sollte, als es auf dem Bahnhofsvorplatz und in Sichtweite der Eichstätter Abschiebehaftanstalt um ein zwar verwandtes, aber eben doch anderes und wieder kontroverses Thema ging, das sicher nicht alle Demokratiefreunde gleich sehen: Nämlich das Thema Migration und Abschiebung. So forderte ein Redner – in Verbindung mit einer kleinen Nebendemonstration vor der ehemaligen Eichstätter JVA, dass der kurdischstämmige Kamuran Akin als HDP-Mitglied und damit erklärter Gegner des Erdogan-Regimes trotz einer Gefährdungslage nicht wieder in die Türkei abgeschoben werde, wie der Vertreter einer Organisation aus Ingolstadt sagte, die sich für solche Menschen einsetzt. Seinen vollen Namen wollte er wie auf Anfrage von Ei-live nicht sagen – wie viele Redner bei entsprechenden Anlässen, unter anderem weil es Listen mit solchen Namen in rechten Kreisen gebe. Zwei weitere Redner kritisierten die verschärfte Asylpolitik und die Abschiebungen. Eine große Mehrheit auch der deutschen Demokraten macht sich allerdings nach Umfragen aber auch zumindest große Sorgen um eine unkontrollierte Migration.

Demokratie ist schwierig, die Herausforderungen manchmal groß – und nicht jeder, der für eine Regulierung der Migration ist, ist auch gleich ein Rechter und ein Nazi – so viel ist auch klar. Die Demonstration war nach inzwischen anderthalb Stunden dann auch schon etwas kleiner geworden, die rund 300 Kerzen, die die Veranstalter für den finalen Zug zurück zum Marktplatz organisiert hatten, reichten aber immer noch bei Weitem nicht aus. Und so endete die Demonstration nach rund zwei Stunden zurück auf dem Marktplatz zu einer kurzen Abschlusskundgebung – am Ende eines deutlichen Zeichens und einer für eine kleine Stadt mit gut 14.000 Einwohnern beachtlich großen Teilnehmerzahl. Allein – es bleibt das Gefühl, dass es noch viel mehr hätten sein können, wenn der demokratische Schulterschluss zwischen unterschiedlichen Lagern noch enger gewesen wäre. Aber auch das gehört zur Demokratie: Sie muss immer wieder neu ausgehandelt und gemeinsam erarbeitet werden – und nach Meinung vieler Teilnehmer heute auch zunehmend erkämpft werden.

„GemEInsam gegen rechts“: Demonstration für Demokratie am Donnerstag

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