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„Und dann sind wir einfach hingefahren“ – Die Eichstätterin Lucia Eichhorn berichtet von ihren Erlebnissen an der ukrainischen Grenze

Wie eine Gruppe von jungen Eichstättern und Neuburgern einfach und unbürokratisch hilft

Eichstätt/Neuburg/Medyka. – Es war eine spontane Idee, die sich aber irgendwie über Tage entwickelt hatte: Die Bilder vom Leid der Menschen in der Ukraine in den Medien hatten Lucia Eichhorn (19) und ihre Freunde Bilgin Syonmez (23) und die erst 20-jährige Neuburger Stadträtin Nina Vogel schon seit Tagen betroffen gemacht. „Wir haben gedacht, wir müssen einfach etwas machen“, erzählt Eichhorn. „Und dann sind wir einfach hingefahren.“ Aus der Fahrt wurde ein erster viertägiger Aufenthalt, dann noch einmal fünf Tage – inzwischen aber sogar eine ganze privat organisierte Hilfsaktion, die sich um die Flüchtenden vor Ort kümmert. Einen Großteil der letzten zwei Wochen haben die drei und Klara Leidl (25), die beim zweiten Mal dabei war, in einem Ferienhaus eines Bekannten nahe der ukrainischen Grenze mit ukrainischen Geflüchteten verbracht – und mit ihnen Leid, Verzweiflung, aber auch heitere Momente geteilt. Hier berichtet sie von ihren Erlebnissen und einem Krieg, der auch aus der Entfernung spürbar ist.

„Free Ukraine. Fuck War“: So steht es auf diesem Fahrzeug an der ukrainischen Grenze, wo Lucia Eichhorn und ihr Team von „vorortsupport.org“ derzeit regelmäßig Geflüchteten helfen. Fotos: oh
Aus dem Leben gerissen sind hier Kinder wie der Junge, mit dem Lucia Eichhorn hier spricht, und alte Menschen gleichermaßen, die oft traumatisiert aus den Kriegsgebieten kommen und nicht wissen, wie es weitergeht.

Eigentlich studiert Lucia Eichhorn Physik und Philosophie in München, wo sie sonst auch lebt. Die letzten gut zwei Wochen aber verbrachte die junge Eichstätterin größtenteils an der ukrainischen Grenze: in einem Ferienhaus nahe dem polnisch-ukrainische Grenzübergang Korczowa und ebenfalls nicht weit von der Grenzstation in Medyka. Die notdürftig eingerichteten Flüchtlingsunterkünfte und Transitzentren hier wie in Hala Kijowska platzen seit Tagen aus allen Nähten. Dort haben die Helfer aus Eichstätt und Neuburg gemeinsam immer wieder geholfen, Hilfsgüter zu sortieren und auf den Weg in die Ukraine zu bringen, eine Lieferung in das umkämpfte Charkiw zum Beispiel, erzählt Eichhorn.

Hilfsportal „vor ort support“

Auch das „Ferienhaus“, das längst keines mehr ist, ist derzeit dauernd voll besetzt – nicht mit Feriengästen, sondern mit Menschen, die gerade ihre Heimat verloren haben. Die Helfer teilen sich ein Zimmer. In den restlichen Zimmern und übrigen 18 Betten schlafen Menschen aus verschiedenen Teilen der Ukraine, die nach aufwühlenden Tagen bis hierher kurz ausruhen können und dann ihren Weg in eine ungewisse Zukunft fortsetzen. Den Helfern zeigen sie Fotos ihrer zerstörten Häuser oder Schlimmeres, haben Angst um ihre Angehörigen und Freunde, für die die Situation unter russischem Dauerbeschuss immer beklemmender und gefährlicher wird.

Einige von ihnen haben die Helfer aus Bayern nach ihrer Rückkehr von ihrem zweiten Aufenthalt am Freitag mit nach Bayern gebracht – nach Neuburg an der Donau und nach Reichertshofen, wo Privatleute sie nun untergebracht haben. Organisiert haben das ebenfalls Lucia Eichhorn und inzwischen rund ein Dutzend Mitstreiter, die dafür sogar die private Hilfsinitiative und das Internetportal „vorortsupport.org“ gegründet haben, das auch anderen Menschen offen steht, die helfen wollen. Im Mittelpunkt steht jenes zur Unterkunft umfunktionierte Ferienhaus und die unbürokratische, direkte Hilfe von Mensch zu Mensch.

Ein wenig Normalität und Gastfreundschaft in einem Neuburger Restaurant

Erst gestern haben die Helfer zurück in Neuburg die Ukrainer hier zum Essen eingeladen – ein wenig Normalität, nachdem für sie mit den ersten russischen Bomben am 24. Februar erst eine Welt zusammengebrochen und dann ihre Heimat schrittweise in weiten Teilen unbewohnbar gemacht worden ist. Wie für ein Trio älterer Frauen, die so gerne lachen, wenn sie sich – wie in diesen Tagen – nicht gerade einfach nur dauernd Sorgen um ihre Landsleute und die Zukunft machen. Oder wie Yehor – was man eingedeutscht wohl Egor schreiben und sprechen würde. Der 17-Jährige wollte in den nächsten Wochen eigentlich seinen Schulabschluss machen und danach Informatik studieren – wie so viele junge Menschen in der Ukraine mit ihrer aufstrebenden jungen IT-Landschaft.

In eine ungewisse Zukunft fahren nicht nur diese Kinder im voll besetzten Bus (Foto links), sondern so viele Ukrainer, die trotz aller Not tapfer und optimistisch bleiben – auch dank der Hilfe von vielen, vielen Menschen wie Lucia Eichhorn (Foto rechts, 2. v. r.) und ihren Mitstreitern hier mit Hilfsgütern.

Nun weiß er nicht, wie es weitergehen soll. Die Helfer von „Support vor Ort“ sind gerade dabei, ihm dabei zu helfen, zu klären, ob er den Abschluss nicht auch von hier aus zuende machen kann. Denn ohne Schulabschluss wird es auch mit dem Studium schwierig. Nachdem sein Leben und sein Land gerade zerstört wurden, soll jetzt nicht auch noch dieser Traum platzen. Darum geht es: unbürokratisch zu helfen und für andere dazu sein, sagt Lucia Eichhorn, die wie so viele andere Menschen in der Region nicht nur den Wunsch hatte, zu helfen, sondern es auch getan hat: Sie ist „einfach losgefahren“.

Hier berichtet Lucia Eichhorn selbst von ihren Erlebnissen:

„Wir sind in einer privaten Unterkunft in Polen an der Grenze zur Ukraine. Die 18 Betten werden an Schutzsuchenden bereitgestellt, die direkt aus der Ukraine kommen oder von uns von Auffanglagern an den Grenzübergängen abgeholt werden. Die meisten Familien bleiben ein paar Tage, um sich nach der langen und schrecklichen Flucht zu erholen und von der Unterkunft aus zu planen, wie es weiter geht. Das Haus ist von einem Bekannten für ein Jahr im Voraus bezahlt, und hier kommen Freiwillige aus verschiedenen Orten mit verschiedenen Missionen zusammen. Es wird Ukrainisch, Russisch, Englisch und Deutsch gesprochen. Wir Helfer:innen schlafen in einem Matratzen Lager/teils im Auto. Es ist sehr kalt momentan in Polen, aber wir hatten eine sonnige Woche. Vor Ort kaufen wir Essen ein, kochen (wobei wir z.B. in der letzen Woche von ukrainischen Familien mit traditionellen Gerichten bekocht wurden), richten die Zimmer her, planen Evakuierungskonvois, Fahrten nach Deutschland und organisieren Unterkünfte in Deutschland.

„Bilder von den eigenen abgebrannten Häusern, zerbombten Straßen und Menschen“

Auch Minderjährige Flüchtlinge kommen bei uns an, die wir dann legal nach Deutschland evakuieren. Es finden viele Gespräche statt, in denen in der Regel die Fluchtgeschichte erzählt wird – und die Sorgen, die einen begleiten. Die Bilder, die von den eigenen, abgebrannten Häusern, zerbombten Straßen und Menschen gezeigt werden, nehmen ganz anders mit als die Eindrücke aus den Medien. Letzte Woche waren circa 20 Menschen aus Lviv, Kiev und Mariupol da, die jetzt alle in Deutschland in Appartements oder bei Familienangehörigen angekommen sind.

Für einige ist das der zweite Krieg, den sie erleiden müssen. Auch unter den Helfer:innen sind Personen dabei, die 2014 im Krieg im Donbas waren. Die Bilder und Geschichten erschaffen oft eine bedrückende Atmosphäre. Neben der Hilfe für Schutzsuchende wird auch die Lieferung von speziellen Gütern an, aber vor allem über die Grenze direkt nach Lviv oder Kiew an Krankenhäuser oder die Front organisiert und durchgeführt. In Lagern werden die in der Regel vor Ort gekauften oder speziell angeforderten Güter sortiert und vorbereitet. Wer über die Grenze will, braucht seinen Reisepass und muss mit langen Wartezeiten beim Übergang rechnen. Es muss sich täglich an die sich verändernde Infrastruktur angepasst werden.

„Aber wir haben gelernt: Im Krieg gibt es keine Regeln“

Aber wir haben gelernt: Im Krieg gibt es keine Regeln. Der Krieg ist nahe und präsent, trotzdem herrschen heitere Momente. Man merkt, dass die meisten Geflohenen nach der ersten Nacht in der Unterkunft langsam zur Ruhe kommen, und an den Abenden ist das Haus gefüllt mit Lachen und Herzlichkeit. Nur am Rande spielen sich Geschichten von weiteren Evakuierungen, Tränen und Ängsten ab. (Bier hilft manchmal, um auch mal abzuschalten. Abends wird auf die gemeinsame Mission der Helfer:innen im Haus angestoßen, aber vor allem darauf, dass der Krieg bald endet.)

Schlaf bekommt man wenig im Haus, und viele Fahrer:innen lassen eine Nacht komplett aus, um über Nacht elf Stunden von Polen nach Deutschland oder zurück zu fahren. Das ist allerdings kein Vergleich zu den Fluchtgeschichten, die erzählt werden. Wir sind von Donnerstag auf Freitag mit fünf Personen nach Neuburg an der Donau gefahren, und Jana Jergel hat mit ihrem Hilfskonvoi noch weitere drei Personen in Neuburg abgesetzt. In den letzen Tagen haben wir uns um die Registrierung in Deutschland und Anmeldung im Landkreis gekümmert. Erst dann ist Anspruch auf finanzielle Unterstützung für Miete, Nahrung, Kleidung etc. da. Freie Sim-Karten mit kostenlosem Vertrag der Telekom haben wir abgeholt, uns Gedanken über Arbeit und Schule gemacht und zwischendurch gemeinsam gegessen — diesmal bayerische Spezialitäten und Sushi.

„Es ist beeindruckend zu sehen, wie viele Menschen aus umliegenden Ländern und auch Geflohene aus der Ukraine ohne Furcht helfen“

Gerade sind Freunde aus Neuburg im Haus in Polen, und wir fahren am Samstag nachts wieder zurück – nach dem wir uns diese Woche erst einmal dringend erholen müssen – und versuchen, weiter an der Grenze zu unterstützen. Es baut sich langsam eine funktionierende Infrastruktur auf, und es ist beeindruckend zu sehen, wie viele Menschen aus umliegenden Ländern und auch Geflohene aus der Ukraine ohne Furcht helfen.

Hier Lucia Eichhorns Appell an alle, die helfen wollen:

Wir brauchen dringend Euere Unterstützung! Vor allem für die nächste Woche: Personen die den Schutzsuchenden, die privat in Neuburg an der Donau untergebracht sind, beim Start helfen:

Dazu zählt: Einkaufen, grundlegende Fragen zum Leben hier beantworten, Transfer (z.B. zum Arzt) bieten und ein offenes Ohr haben – Dolmetscher, um die Kommunikation zu erleichtern.

Wohnungen: Wer ein Appartement/Zimmer übrig hat, das stadtnah ist/zentral liegt/Geschäfte zu Fuß erreichbar sind und dieses gerne bereit stellen möchte, kann sich sehr gerne bei uns melden (vor allem in Neuburg/Eichstätt/Ingolstadt/München)

Geldspenden: Wir haben unsere Ausgaben von letzter Woche gelistet. Um weitere Hilfsfahrten möglich zu machen und um Schutzsuchenden bedarfsweise auszuhelfen, bitten wir um Geldspenden. Letze Woche ist ein Minderjähriger Flüchtling nach Deutschland mit einem Startguthaben von 150 Euro gereist. Es war herzzerreißend, zu sehen, wie er ohne große Worte 200 Euro von uns angenommen hat — dankbar, aber auch darauf angewiesen.

Bus: Und zuletzt suchen wir für unsere Fahrt einen Kleinbus mit Sitzen, den wir über einen längeren Zeitraum hinweg ausleihen könnten. Wir planen, innerhalb des nächsten Monats eine längere Zeit vor Ort an der Grenze zu sein. Über Tipps wären wir sehr sehr dankbar! Danke an alle, die in diesem Krieg die Ukraine unterstützen!

Mehr Informationen gibt es unter https://vorortsupport.org/ – oder EINFACH HIER KLICKEN!

 

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